: An eigene Interessen denken
■ betr.: „Guter Wille allein reicht nicht“, taz vom 30.11.93
Bereits die Überschrift von Martin Kempes Kommentar zeugt davon, daß nun endlich mal einer mit ein wenig Realitätssinn in die Viertagewoche-Debatte einsteigt. Das, was Kempe schreibt, hebt sich wohltuend ab von dem mit allerlei Phantastereien angereicherten Gesäusel eines Fritz Kuhn („die intelligente Viertagewoche“, s. taz v. 16.11.) und Willi Brüggen („Grüne – es geht um Eure Sache“, taz vom 24.11.), die die von VW lancierte Geschichte sofort verallgemeinern und mit allerlei bodenlosem Dummschnack anreichern, nach der Melodie, „hätte-könnte- müßte“ und das „gute Leben“ hier und jetzt fordern, obwohl sie doch sehen müßten, daß es nicht ums gute Leben, sondern für die Lohnarbeiter um die Verteidigung ertrotzter Positionen vor den immer heftiger und, natürlich, auch immer „phantasievoller“ werdenden Angriffen des Kapitals geht.
Dem Gegenstand völlig blind gegenüber steht offensichtich Barbara Dribbusch mit „Morgenluft in der Krise schnuppern“ (taz vom 26.11.), die da meint „Jetzt haben die Leute halt etwas weniger Geld und ein bißchen mehr Zeit. Mal sehen, was passiert.“ Mal abgesehen davon, daß die Leute zum xten Male allein die Zeche bezahlen, auf deren Höhe und Zustandekommen sie nicht den geringsten Einfluß haben, was bei Dribbusch völlig untergeht, ist mit der üblichen taz-Schnoddrigkeit dem Problem der steigenden Arbeitslosigkeit und der steigenden Erpreßbarkeit der Lohnarbeiter durch die Furcht, selbst arbeitslos zu werden, die auch durch ein zweijähriges Entlassungsmoratorium nicht zu beseitigen sein wird, nicht anzukommen.
Die Unternehmer, das müßte doch bekannt sein, und das vernachlässigt mir auch Kempe ein bißchen, denken bei dem, was sie tun, weder ans Gemeinwohl noch an ihre „lieben Mitarbeiter“, sondern knallhart an das, an was Gewerkschaften und Lohnarbeiter eben auch mit der gleichen Konsequenz denken müßten, an ihre eigenen Interessen. Und wie es „kein richtiges Leben im Falschen“ gibt (Adorno), gibt es natürlich auch keine in der Konsequenz wirksamen „reformerischen“ Schritte, sie seien denn ernstlich konzipiert als Schritte hin zu etwas gänzlich Neuem. Klaus W. Kowol, Gummersbach
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