: Staatsrichter retten DVU-Chefin Blohm
■ Staatsgerichtshof :DVU-Fraktionsvorsitzende Marion Blohm darf in der Bürgerschaft bleiben
Bei der DVU kann der Sekt kaltgestellt werden. Am Samstag hat der Staatsgerichtshof über die Rechtmäßigkeit des Bürgerschaftsmandats von Marion Blohm verhandelt, und die obersten Bremer Richter haben ihr Ergebnis schon durchschimmern lassen: Das Urteil des Wahlprüfungsgerichts vom Juli, das das Mandat der DVU-Abgeordneten aberkannt hatte, wird kassiert. Marion Blohm kann weiter in der Bürgerschaft sitzen. Nach gut einer Stunde ohne eine weitere Beweisaufnahme und vor allem ohne jegliche kritische Nachfrage an die DVU-Abgeordnete war die Verhandlung beendet. Am 16. Dezember soll das Urteil förmlich verkündet werden.
Zum Hintergrund: Im Januar'93 hatten Recherchen der taz ergeben, daß Marion Blohm nicht, wie es eigentlich nach dem Wahlgesetz vorgeschrieben ist, drei Monate vor der Wahl im Lande Bremen gewohnt hat. Die Aussagen ehemaliger politischer Weggefährten waren eindeutig: Nur zum Schein habe sich Marion Blohm in Bremerhaven in der Wohnung ihrer Eltern angemeldet, in Wirklichkeit aber nach wie vor bei Mann und Kind im niedersächsischen Langen gewohnt. Aufgrund des taz-Artikels hatte Bürgerschaftspräsident Dieter Klink Einspruch gegen die Wahl der Abgeordneten eingelegt.
Im Sommer tagte dann das Wahlprüfungsgericht. Ergebnis: Marion Blohm müsse ihr Mandat zurückgeben. Die Begründung war allerdings einigermaßen kurios. Das Urteil erging allein aufgrund eines verstaubten Passus im Meldegesetz. Danach sei der erste Wohnsitz bei Verheirateten automatisch dort, wo die Familie lebt, solange sich das Paar nicht dauerhaft trnnen wolle. Und das hatte Marion Blohm im Sommer genau so ausgesagt: Ihr Mann sei mit ihrer politischen Arbeit nicht einverstanden gewesen, eine dauerhafte Trennung sei das aber nicht gewesen.
Das hörte sich am Samstag ganz anders an, da hatte sich die DVU- Abgeordnete mit Unterstützung ihres Anwalts eines Besseren besonnen: Wenn ihr Mann ihrer politischen Karriere nicht zugestimmt hätte, dann wäre es zu einer dauerhaften Trennung gekommen.
Aber auf die Klärung dieser Frage schien es dem Gericht kaum noch anzukommen. Am Ende der Verhandlung gab der vorsitzende Richter Günter Pottschmidt die Überlegungen des Gerichts bekannt: „Es ist auch denkbar, daß eine Familie nicht nur einen Wohnsitz hat. Wie soll sonst die Wählbarkeit hergestellt werden.“ Das Gericht scheint den Passus im Meldegesetz kassieren zu wollen. Und weil es bei dem Verfahren nur noch um das Meldegesetz gegangen war, kann die DVU-Fraktionschefin mit einiger Sicherheit davon ausgehen, daß sie Abgeordnete bleibt.
Der Fall Blohm ist auf der schiefen juristischen Ebene ausgerutscht, die das Wahlprüfungsgericht angelegt hat. Schon bei der Verhandlung im Sommer ging es plötzlich nicht mehr um die Frage der vorsätzlichen Wahlfälschung, sondern nur noch um einen Absatz im Meldegesetz. Plötzlich hatte sich eine neue Perspektive für das Gericht eröffnet: Der mühselige Weg, zwischen sich widersprechenden Aussagen die Wahrheit herauszufinden, konnte nun elegant abgekürzt werden. Marion Blohm fiel, so schien es, mühelos durch die Maschen des Meldegesetz.
Durch diese Verengung konnte es passieren, daß eine ganze Reihe von Beweisen schon in der ersten Instanz unter den Tisch fielen, und in der zweiten ebenso. Eine ganze Reihe ehemaliger politischer Freunde Blohms hätten übereinstimmend berichtet, was für das Telefon in Langen verabredet war: Dreimal klingeln lassen, dann auflegen, dann wieder anrufen, dann ist sie selbst am Apparat. Mit diesen Aussagen wollte das Gericht Marion Blohm aber genauso wenig konfrontieren wie mit einem Brief des DVU- Chefs Frey. Der hatte sie und den Bremerhavener DVU-Kreisverband kurz vor der Wahl aufgefordert, Marion Blohm solle endlich tatsächlich nach Bremerhaven ziehen, sonst würde er sie von der Liste streichen. Der Brief schlummert nach wie vor in den Akten der ehemaligen DVU-Kreisvorständler. Die hat bislang niemand danach gefragt, obwohl die Existenz des Schreibens bei der ersten Verhandlung bekannt wurde und danach mehrfach in der taz angemahnt worden war. Noch nicht einmal die Langener Nachbarn sind befragt worden. Der Staatsgerichtshof hatte allein Herrn Blohm geladen, aber dann noch nicht einmal befragt. Und das, obwohl die Version, daß Herr Blohm so gar nich mit dem politischen Engagement seiner Frau einverstanden gewesen sei, so gar nicht stimmen kann. Dazu ist das Ehepaar Blohm bei zu vielen DVU- Veranstaltungen gemeinsam aufgetreten. Ob bei Versammlungen in Bremerhaven, beim DVU-Frühschoppen oder beim Bundesparteitag in Passau: Herr Blohm war immer dabei.
Es hätten sich doch einige Fragen ergeben, die die Richter hätten stellen können, wenn sie denn gewollt hätten. Aber diese Beweisaufnahme wollte offensichtlich niemand beim Staatsgericht.
So konnte Marion Blohm unbehelligt von jeder kritischen Nachfrage Geschichten erzählen. An einer Stelle hatte man gar den Eindruck, die Richter wollten nicht nur keine Nachfragen stellen, sondern sie könnten es auch nicht aus mangelnder Kenntnis der Sachlage. Der Blohm-Anwalt führte in's Feld, seine Mandantin habe ihm erzählt, sie habe vom Bremerhavener Kripo-Beamten Wohlers erfahren, daß die Kripo die Frage ihres Wohnsitzes unmittelbar vor der Wahl auf Anfrage des Wahlleiters überprüft hätte. Ergebnis: Blohm wohnte in Bremerhaven, alles in Ordnung. Das schien die sieben Herren in ihren Roben zu verblüffen, das hatten sie nicht gewußt. Aber von dieser Überprüfung war in der taz im Januar 1993zu lesen gewesen. Die Verblüffung war so groß, daß kein Richter es merkwürdig zu finden schien, daß ein Beamter der Kripo so freizügig gegenüber seinem Spähobjekt mit Informationen umgeht. Hätten die Richter Fragen gestellt, dann hätten sie vielleicht auch noch eine andere Merkwürdigkeit herausbekommen: In einer DVU-Versammlung hat nämlich Marion Blohm mit ihren guten Verbindungen zur Kripo geprotzt:. Sie brauche bloß den Beamten Wohlers anzurufen, der würde sie schon schützen. Jochen Grabler
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