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Geheimrezept: Koproduktionen

■ Seit 1988 ist Nele Hertling Intendantin des Hebbel-Theaters. Jetzt wurde ihr Vertrag um weitere fünf Jahre verlängert. Mit Nele Härtling sprach Michaela Schlangenwerth über Theatermanagement und die ...

taz: Frau Hertling, wie hat sich Ihrer Ansicht nach die Berliner Kulturlandschaft durch die Existenz des Hebbel-Theaters – als festes Gastspieltheater, das international koproduziert – verändert?

Nele Hertling: Bis auf die vereinzelten, sehr repräsentativen und großen Gastspiele war zuvor wenig zu sehen von der internationalen Theaterwelt in Berlin. Ich glaube, daß die Kenntnis über das, was um Deutschland herum im Theater vor sich geht, durch uns zugenommen hat. Für den Tanz speziell ist das ganz sicher so. Zwischen den klassisch orientierten Opernballetten und der sogenannten, doch sehr lokal bedingten freien Szene klafft eine Lücke: Es fehlt eine zeitgenössische, hochprofessionelle und kontinuierlich in der Stadt arbeitende Kompanie. Wir haben sicherlich mit dem Bewußtsein aufgeräumt, man hätte alles in Berlin, hätte ganz viel. Man hatte übersehen, daß das, was im zeitgenössischen Tanz in Berlin an Qualität entstanden ist, nicht an das heranreicht, was international geschieht. Dieses Bewußtsein hat sich verändert, aber leider noch nicht die Realität.

Verglichen mit anderen Theatern kostet Ihr Haus (Gesamtetat acht Millionen) sehr wenig Geld.

Wir haben gelernt, daß die internationale Zusammenarbeit sehr helfen kann bei Geldnot: Indem man Projekte gemeinsam plant und finanziert, kann man auch große und wichtige Projekte, die ein kleines Haus wie wir niemals allein tragen könnte, mitgestalten und dann eben auch zeigen. Das hat unseren Spielplan sehr ausgeweitet.

Können Sie beschreiben, wie diese Koproduktion funktioniert?

Wir sind ungefähr zehn Leute, die in verschiedenen Theatern in Europa arbeiten (neben dem Hebbel-Theater sind das Felix Meritis in Amsterdam, das Kaiitheater in Brüssel, das Frankfurter Theater am Turm und die Wiener Festwochen, d. Red.), die sich immer wieder auseinandersetzen, sich gegenseitig Projekte vorschlagen und in unterschiedlicher Besetzung und Anzahl gemeinsam produzieren. Für die mehr sprachbezogenen, mehr musikbezogenen oder mehr tanzbezogenen Projekte gibt es unterschiedliche Partner. Das ganze System ist sehr flexibel. Es findet sich für jedes Projekt ein Hauptproduzent, der sogenannte Executive Producer, der die Verantwortung übernimmt, das Budget aufstellt, die Kosten errechnet. Die werden manchmal durch praktische Mittel abgegolten, durch das Bereitstellen der Organisation, der Werkstätten, Probebühnen oder ähnliches, und die anderen zahlen dann die Barmittel für die Künstler.

Denken Sie, Teile Ihres Modells wären auch auf die veränderungsbedürftigen Ensembletheater und Opernhäuser übertragbar?

Es gibt so viele Modelle. Man kann sehr schwer sagen, dieses ist übertragbar auf alle. Meiner Meinung nach ist die Crux, daß aus den festgefahrenen Strukturen nur jeweils eigene, individuelle Wege führen. Jeder müßte für sich sehen: Wie könnte ich meinen Bereich flexibler gestalten, wo könnte ich kooperieren? Die Opernhäuser sind in ihrem Riesenapparat so festgezurrt, daß jeder Gedanke an Kooperation an der Oberfläche hängenbleibt. Es werden mal Kostüme vom Partner gekauft oder die Technik ausgetauscht. Weiter geht es weder bei den Opernhäusern noch beim Theater. Ich bin überzeugt davon, würde die Diskussion um Strukturveränderungen etwas tiefer angesetzt, entstünden ganz andere Möglichkeiten der Kooperation, und dann würde tatsächlich Geld gespart.

Was halten Sie von der Idee, Marcia Haydée an die Deutsche Oper zu holen?

Ich halte gar nichts davon. Ich halte Marcia Haydée für eine wunderbare Tänzerin und Ballettleiterin, und sie hat ihre herausragenden Qualitäten ja über viele Jahre bewiesen. Aber ich denke, die Deutsche Oper bräuchte jemanden, der ganz massiv nach vorne guckt. Klassisches Repertoire an drei, selbst zwei Häusern ist zuviel. Und wie sich ja zeigt, gibt es für das Angebot in seinem momentanen Umfang kein Publikum. Ich kann mir vorstellen, daß es ein Haus für das klassische Repertoire gibt, und aus meiner Sicht wäre das ganz natürlich die Staatsoper aufgrund ihrer Lage und Tradition. Und das andere wäre, daß die Deutsche Oper einen ganz anderen Schwerpunkt setzen müßte, nämlich im zur Zeit in der Stadt fehlenden, zeitgenössischen Umfeld.

Denken Sie denn, daß es in Berlin ein so großes Publikum für modernen Tanz gäbe? Ihr Haus hat den Ruf eines Avantgarde-Theaters mit einem festen, aber doch eher kleinen Publikumsstamm.

In diesem Sommer waren nahezu alle unsere Veranstaltungen ausverkauft. Wenn diese Art von Tanzangebot ständig liefe, wäre auch das Haus der Deutschen Oper mit solch einem Angebot problemlos zu füllen. Am besten kann man da auf Paris verweisen. Gruppen, wie wir sie hier einmal im Jahr vorstellen, sind dort an einem festen Haus ständig zu sehen, und zwar an einem Haus mit fast 1.000 Plätzen. Die Programme laufen dort nicht nur wie bei uns drei Tage, sondern eine oder zwei Wochen, und das Theater ist fast immer ausverkauft. Es ist wie mit neuer Musik, auch an Strawinsky oder Bartók mußte man sich gewöhnen – es muß aber auch das entsprechende Angebot da sein.

Ihr Haus wurde dieses Jahr hart von den Kürzungen getroffen, und das hätte beinahe zu einer vorübergehenden Schließung geführt.

Ja, der Etat, von dem wir Anfang des Jahres ausgingen, wurde im März um sechs Prozent gekürzt. Bei unserer Art von Spielplangestaltung sind wir im März für das ganze Jahr festgelegt. Das heißt, wir mußten aus drei Projekten aussteigen, ohne daß wir sehr viel Geld gespart hätten. Die Produktionen hatten wir schon bezahlt, aber es fehlte das Geld für Reisekosten und Unterbringung, um die Gruppen hier spielen zu lassen. Die für November geplante Whoostergroup kommt jetzt im Mai. Statt dessen gab es, zur Verwunderung unseres Publikums, ein Boulevardstück zu sehen. Wir haben vermietet, weil wir anders hätten zumachen müssen, und das wäre fatal gewesen für einen großen Teil unseres Personals, das auf freier Basis hier arbeitet.

Wie sehen Sie Ihre momentane Situation?

Sicher ist die Lage schwierig, aber ich sehe auch, daß das Verständnis für die Arbeit, wie wir sie machen, auf der politischen Ebene sehr gewachsen ist. Es gibt mehr und mehr Zustimmung, weil verstanden wird, daß wir im Unterschied zu anderen Häusern mit sehr wenig Geld sehr viel anbieten. Und eine politische Erkenntnis, die sich jetzt langsam durchgesetzt hat, ist, daß wir einen großen Ruf außerhalb Berlins haben. Einfach durch die Koproduktionen, dadurch, daß wir viel auf Reisen sind und viele Leute hierherkommen, sind wir im Ausland neben der Schaubühne das bekannteste Theater. Von Saõ Paulo bis ich weiß nicht wo. Das ist ein Bekanntsheitsgrad, der dem Land Berlin letztlich nur nützt.

In dem Streit um Johannes Kresnik war ein wichtiges kulturpolitisches Argument, daß es eine feste Kompanie für modernen Tanz in der Stadt auf hohem Niveau nicht gibt. Damit war die Tanzszene selbst aber nie einverstanden.

Ich war von Anfang an für Kresnik, denn jeder wichtige Künstler, der nach Berlin kommt, ist für die Stadt ein Fortschritt. Und es ist ganz klar, daß Kresnik dazugehört. Aber ich habe auch schon zu Beginn der Kresnik-Debatte gesagt, daß das Argument, mit Kresnik der Berliner Tanzszene weiterzuhelfen, falsch ist. Kresnik macht Tanztheater, und Theater ist sicher der Schwerpunkt in dem Wort. Die Stadt braucht eine Entwicklung im choreographischen Denken und im Tanztraining, und beides macht er nicht. Schwierig finde ich, wenn das politische Argument jetzt sein würde – und das fängt ja schon an –, jetzt seid Ihr mal ruhig in der freien Tanzszene, jetzt haben wir einen Hans Kresnik geholt, und nun müßt ihr zufrieden sein. Das ist natürlich eine Katastrophe, denn es fehlen bestimmte Basisformen sowohl zum Spielen als auch zum Arbeiten. Es gibt Basisforderungen, die nie erfüllt worden sind. Da ist es zynisch zu sagen, daß durch Kresnik der Bedarf erst mal gedeckt ist.

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