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Den Kurden beistehen – Verbote aufheben

■ Betr.: „Erfolg für Ankara – Bonn verbietet kurdische PKK“ u.a., taz vom 27.11. 1993

In der Bundesrepublik leben etwa eine halbe Million Kurden, die ihre Heimat verlassen mußten. Was den Kurden in der Türkei jetzt und seit langem geschieht, nennt man in Bosnien ethnische Säuberung. Die selbstverständlichsten Menschenrechte werden nicht gewährt: das Recht auf die eigene Sprache und Kultur.

Der Abwehr von Entrechtung und Unterdrückung begegnet die türkische Regierung mit Terror, Folter und rücksichtsloser militärischer Zerstörung von ganzen Orten wie auch durch Mord, ausgeübt vonTodesschwadronen. Diejenigen – Publizisten, Journalisten und Verleger –, die in der Lage sind, die Gegensätze zu artikulieren und dadurch behandelbar zu machen, werden vor Gerichte gezerrt, die im Sinne der herrschenden türkischen Nationalität richten.

Völkermord und Beihilfe zum Völkermord – beides ist unerträglich. Doch beides geschieht noch immer in Europa. Die Bundesregierung liefert Waffen, Finanzierung und wohlwollende Diplomatie, die alle zur Unterdrückung der Kurden eingesetzt werden. [...] Was soll das Gerede von der Notwendigkeit „humanitärer Interventionen“, wenn die Regierung bei dem Nato-Partner die Augen verschließt, ja schlimmer noch, bei ethnischer Säuberung und Vertreibung Beihilfe leistet.

Den Kurden muß auch geholfen werden, damit sie ihre Verzweiflung überwinden können und nicht dem alten Fehler verfallen, Unrecht mit Gewalt zu bekämpfen und dem Unrecht der anderen mit eigenem Unrecht zu begegnen. [...] Man muß ihr Angebot zu Gespräch und Verhandlungen annehmen, um Türken und Kurden von der Last der Konfrontation befreien zu können. Selbstverständlich wird das schwierig, das sieht man sowohl am schwarz-weißen Konflikt wie auch am palästinensisch-israelischen. Es hat keinen Sinn, den staatlich organisierten Terror und den aufständischen Terror immer wieder gegeneinander aufzurechnen. Beides muß überwunden werden.

Die Kurden in der Bundesrepublik haben über Jahre friedlich für ihre Menschenrechte in ihrer Heimat gestritten, haben gemahnt, haben Vorschläge gemacht, haben informiert. Die Regierenden in Bonn jedoch setzten den tendenziell faschistischen Kräften unter den bei uns lebenden Türken kaum Grenzen, entsprachen wenig den kulturellen Bedürfnissen der großen Gruppen der Kurden in unserem Lande und vertraten nicht ihre menschenrechtlich gebotenen Forderungen wirksam gegenüber der Türkei. Der Militärpakt war ihnen wichtiger als das Menschenrecht, das sie stets im Munde führen.

Jetzt hat der Bundesinnenminister schamlos die Gelegenheit genutzt, um den Kurden in Deutschland den Krieg zu erklären. Die fahrlässige und verzweifelte Handlungsweise einiger kurdischer Bürger, gewalttätig auf ihr Anliegen aufmerksam zu machen und Unterstützung für Menschenrechte mit den falschen Mitteln einzuklagen, hat der Minister genutzt, viele ihrer kulturellen und kommunikativen Strukturen zu verbieten, wohl wissend, dies würde den extremistischen Kräften dienen und Spannungen erhöhen. Der Minister zündelt mit Fremdenfeindlichkeit, während er Feueralarm gibt. [...]

Was jetzt geboten ist? Die kurdischen Kulturstätten und -vereine sind sogleich wieder zuzulassen. Die während der Aktionen am 4.11. 1993 begangenen Straftaten sind individuell strafrechtlich zu ahnden, ohne tendenziell alle Kurden dem Terrorismusverdacht auszusetzen. Kurdischen Flüchtlingen ist weiterhin Zuflucht zu gewähren. Abschiebungen haben zu unterbleiben. Sie können zu Folter und Tod führen. Waffenlieferungen und -finanzierungen sind einzustellen. Mit menschenfeindlicher Politik ist kein Zugang zur europäischen Integration zu gewinnen. Einzutreten ist auf allen Ebenen von Gesellschaft und Politik für die Menschen-, Minderheiten- und Nationalitätenrechte der Kurden gegenüber Ankara. Selbstverständlich ist den kurdischen Mitbürgern eindringlich zu sagen, daß gewalttätige Aktionen politisch töricht und demokratisch-menschenrechtlich nicht tolerierbar sind. Sie werden dies annehmen, wenn wir sie anhören, wenn wir ihre Sorgen ernst nehmen und ihre Rechte mit ihnen vertreten.

Die ganze Gesellschaft ist gefordert, nicht nur der Innen- und Außenminister. Wir müssen zeigen, daß wir auf der Seite der Menschenrechte stehen und nicht auf der ihrer Unterdrückung. Wir müssen unsere Friedensfähigkeit beweisen, Konflikte nicht zu vertiefen, sondern sie zu lösen. Dr. Andreas Buro, Sprecher des

Komitees für Grundrechte und

Demokratie e.V., Sensbachtal

[...] Anstatt sich auseinanderzusetzen und auch die Gründe und Ursachen für das Verhalten der Kurden zu sehen, wird verboten, kriminalisiert! Aber wer sind die wahren Terroristen? Das ist die deutsche Regierung, die mit unseren Steuergeldern Waffen produziert und sie an die Türkei verkauft, die dort mit deutschen Waffen Menschen ausrotten. [...]

Ich kann mich nur schämen und hoffen, daß dieses Verbot nichts bewirken kann, was auch kommen mag. Joost Hall, Emmendingen

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