Neues vom Sufferer

„Deutschland gutt zum Geldverdienen“. Ein Gespräch mit Peter-Paul Zahl, dem Bad Boy der deutschen Literatur, auf Jamaika, wo er mittlerweile bereits zwei Stieftöchter auf höhere Schulen geschickt hat  ■ Von Christoph Ludszuweit

Peter-Paul Zahl, der gelernte Drucker und Auch-Schriftsteller, der einst die Achtundsechziger mit Bakunin-Raubdrucken versorgte, wurde einer breiteren Öffentlichkeit erst bekannt, als er zum „Fall Zahl“ geworden war. 1972 hatte er versucht, sich der Personenkontrolle zu entziehen, und einen Schußwechsel mit Polizeibeamten begonnen, was ihm zunächst vier Jahre, am Ende eine Strafe von insgesamt 15 Jahren Haft einbrachte. Im Gefängnis entstanden zahlreiche Gedichte und sein bekanntestes Werk, der proletarische Schelmenroman „Die Glücklichen“, für den er 1980, unter großem öffentlichen Geschrei, mit dem Bremer Förderpreis für Literatur ausgezeichnet wurde. 1982 wurde Zahl entlassen. Seit 1985 lebt der Reggae-Freund auf Jamaika. Dort spielt auch seine Krimi-Trilogie, deren erster Teil im nächsten Frühjahr erscheinen soll.

taz: Wie wurdest du nach deiner Übersiedlung 1985 in Jamaika aufgenommen?

Peter-Paul Zahl: Durch diese Umkehrung vieler Werte, daß hier auf Jamaika „bad“ etwas ganz Tolles darstellt, ist meine Biographie hier positiv wie ein Adelstitel sozusagen. Von den Christen bis zu den „Bad Boys“, den bösen Buben, sagen sie: Wenn ein Weißer zehn Jahre im Knast gesessen hat, unter Voraussetzungen, für die ich in Jamaika vielleicht drei oder vier Jahre gekriegt hätte, dann ist er ein „Sufferer“; und dem Sufferer, der gelitten hat, zollt man Respekt, wenn er nicht gebrochen ist.

Hat sich durch deine Heirat im April 1986 im Umgang mit den Leuten etwas geändert?

Als sie sahen, daß ich zwei Stieftöchter annahm, zur höheren Schule brachte und mit den Menschen hier normal umging, hieß es: Er ist einer von uns, auch anderen Leuten gegenüber. Nur: Sie zwingen einen nie, sich zu assimilieren. Diese Anpassung, die von den Türken in Berlin erwartet wird, erwartet hier niemand. Die Besonderheiten der einzelnen Rassen und Kulturen, die nach und nach aufeinanderstießen und eine neue, synkretistische Kultur prägten, will man hier bewahren.

Mit Theaterarbeit verdienst du in Jamaika kein Geld. Du mußt es nach wie vor in Deutschland verdienen – wie ist dein Verhältnis jetzt zu diesem Land?

Es ist mehr eine Abkoppelung. Ich hab' die Schnauze voll von Deutschland und kann praktisch nur wie ein Türke sagen: Deutschland gutt für Geldverdienen. Innerlich schließe ich mich da ein bißchen mehr ab, um mich hier öffnen zu können. Nach sieben Jahren Jamaika habe ich gelernt, ein wenig die Spielregeln hier zu verstehen, um mit dem fremden Blick das hiesige Leben für den deutschen Leser beschreiben zu können. Ich will ihn nun mit Krimis, die hier spielen, überraschen, und hoffe, so eine Art B. Traven von Jamaika zu werden, um mit dem Blick des Fremden diese nicht wirklich exotische, nur andersartige Gesellschaft den Lesern nahezubringen.

Läßt sich über die Krimis schon mehr verraten?

Ich bin ein großer Bewunderer von Dashiel Hammett und fing 1991 an, den ersten Krimi einer Serie zu schreiben, die über zehn Jahre laufen soll – in jedem Buch ein anderes Thema.

Im ersten Band „Der Schöne Mann“ geht es um die Vermischung von Gewalt und Politik auf Jamaika, wo es vor zwölf Jahren bürgerkriegsähnliche Zustände zwischen den beiden großen Parteien mit 800 bis 1.000 Toten gegeben hat.

Der zweite behandelt ein recht pikantes Thema: den Sextourismus. Weiße Touristinnen aus den USA und Europa kommen hierher und heuern sich so Pseudo-Rastas („Rented Dread“) an. Im dritten Band, wo ich schon viele Recherchen machte, geht es um den Anbau und Export von Ganja, Marihuana, und im vierten um den Export von Sportlern aus Jamaika nach England, Kanada und in die USA. Das geht hier so weit, daß die Aufkäufer schon anreisen, wenn die höheren Schulen Vergleichswettkämpfe haben.

Auch im letzten Wahlkampf im März waren wieder Tote zu beklagen – worum gehen diese Kämpfe überhaupt?

Meistens um Kokain. Die ehemaligen Pistolenschützen der Parteien haben sich als Geschäftsleute etabliert und vermitteln Kokain von Kolumbien in die USA. Wenn dann eine größere Sendung ankommt, gibt es halt in Kingston von Stadtteil zu Stadtteil kleinere Kriege, wer was verkauft, die kaum noch politisch motiviert sind.

Du leitest häufig deine Texte mit Zitaten von Reggae-Musikern ein.

Ich würde gerne mal den deutschen Lesern die Entstehung dieser Musik vorstellen, wie etwa dieser schleppende Rhythmus beim Reggae zustandekommt, die berühmte Taktverschiebung vom Rhythm & Blues zum Ska, Rock Steady zum Reggae. Was ich kulturgeschichtlich klarmachen will, ist die Bedeutung der Texte. Weil die nun im Patois, dem jamaikanischen „Afro-Englisch“ daherkommen, geht deutschen Zuhörern ungeheuer viel verloren, der ganze Witz, die Sprachspielereien wie bei den Dadaisten, und daß hier immer Tausende von Dichtern in den Startlöchern hocken, zu den Studios rennen und sagen: „Ich hab da was“, jeder Tänzer in der Disko kann morgen schon eine Platte machen. Die verbotenen Schmuddelfassungen von Hits kriegt man häufig in den Diskos mit. Diese Volksmusik mit einer großen Kreativität lebt vom Feedback der Zuhörer. Aber es besteht leider die Gefahr, daß sie durch ein geplantes Copyright-Gesetz im nächsten Jahr aus kommerziellen Erwägungen etwas eingedampft und weniger wird. Man darf sich dann z. B. nicht mehr so schamlos der B-Seiten von Platten bedienen, um einen eigenen Hit zu machen.

Du hast dich oft als Anarchisten bezeichnet. Wie wird denn der Begriff Anarchie in Jamaika gebraucht?

Wie in Deutschland auch, bis hin zu taz: Anarchie ist Chaos und Terror, weil man die Philosophie gar nicht kennt. Mir ist nur aufgefallen, daß der Nationalcharakter der Leute hier anarchoid ist. Und zwar selbst der Leute, die dreimal in der Woche in die Kirche gehen. Der Nationalheilige, Anancy, ein Spinnengott der Ashantis aus Westafrika, der alles tut, um nicht arbeiten zu müssen, hat hier sehr starke Wurzeln. Dem Schicksal ein Schnippchen zu schlagen, der Obrigkeit nur zum Schein zu gehorchen, das steckt den Leuten hier im Blut.

Mit anarchoid meine ich das Verhältnis zwischen den Geschlechtern. Um es kurz zu illustrieren: Man trifft eine alte Dame, die hat ein Kapott-Hütchen auf wie in den 20er Jahren in England, hübsche Ohrringe und ein Kleidchen aus Polyester an, Handtasche unterm Arm. Du sagst: „Siehst aber gut heute aus!“ Sie kommt sofort drei Schritte näher und fragt: „Was sagt denn deine Frau dazu?“ Eine alte Dame, die in die Kirche geht, hat sofort eine unheimliche Koketterie drauf! Es heißt zwar, Jamaika sei die christlichste Gesellschaft der Welt mit den meisten Kirchen pro Quadratmeile, aber es ist nur ein ganz dünner Firniß, weil der in den Kirchen verbreitete Gospel ja stark afrikanisch beeinflußt ist.

Im März 1994 wird „Der Schöne Mann“, der erste Krimi von Peter-Paul Zahl, im Verlag Das Neue Berlin/Eulenspiegel erscheinen. Im Mai und Juni wird der Autor auf Lesereise in Deutschland unterwegs sein.