: Plötzlich alles Peanuts
Mit „Urga“ erhält erstmals ein russischer Film den europäischen Filmpreis „Felix“. Daniel Auteuil (schwärm, schwärm) wurde bester europäischer Schauspieler, „Orlando“ bester Jungfilm. Gatt: Alles halb so wild ■ Von Mariam Niroumand
Immer Lauter wird das Singen im Wald, immer markiger werden die Worte, mit denen europäische Filmemacher sich Mut zusprechen. „Let's come crashing through the window“, rief der Produzent David Puttnam einem erfreut nickenden Publikum beim Symposium der Europäischen Filmakademie/ SPD-Kulturforum zu. Gemeint war, wie jedes Jahr auf den Symposien, die der Verleihung des europäischen Filmpreises „Felix“ vorausgehen, die Forderung nach größerer Publikumsnähe (es war sogar von Liebe die Rede). Und wie jedes Jahr gab es ein bißchen „Sixties-Bashing“: Schuldig sind – jedenfalls für Puttnam oder den polnischen Regisseur Krzysztof Zanussi – Theorie und Praxis des Autorenkinos, dessen wildeste Auswüchse dazu geführt hätten, daß Publikumserfolg nachgerade als ein Zeichen für Liebedienerei am Schweinesystem gelesen und entsprechend verteufelt wurde.
Vor diesem Hintergrund ist auch die anhaltende Debatte um die Nominierung der „Felix“-Kandidaten zu sehen; in die engere Wahl waren diesmal „Benny's Video“ aus Österreich, „Un coeur en hiver“ aus Frankreich und eben „Urga“ aus Rußland gekommen. Zum ersten Mal seit Bestehen des „Felix“ wurde die Auswahl im wesentlichen vom inländischen Kassenerfolg der Filme abhängig gemacht, allerdings wurden Filme wie „Mann beißt Hund“ oder „Il Lungo Silenzio“ auf besondere Intervention der Jury nominiert. Viele der Preisträger vergangener Jahre, wie zum Beispiel Gianni Amelios „Gestohlene Kinder“, hätten nach dem neuen Kriterium keine Chance gehabt. Warum man dann aber auf Filme wie „Urga“ zurückgreift, die schon etwas ältlich und außerdem noch anderweitig prämiert worden sind (Venedig), muß ein Rätsel bleiben.
Das Überraschendste an diesem Wochenende aber war, daß plötzlich in Sachen Gatt heftig abgewinkt wurde. Das Gespenst, daß Presse und Filmwirtschaft in Europa umgehen sahen, so SPD-Bundestagsabgeordneter Peter Conradi, sei in Wahrheit gar keins: „Gatt verbietet keine nationale Filmförderung, so lange, wie sie keine Wettbewerbsverzerrung zur Folge hat. Und ich möchte mal sehen, wie die Amerikaner bei einem Marktanteil von 80 Prozent von Benachteiligung sprechen wollen.“ Auch eine nationale Quotenregelung, die beispielsweise die Anzahl einheimischer Spielfilme im Fernsehen oder in den Kinos vorschreibt, sei nicht von Gatt betroffen. Die Franzosen, die bislang immer für ihre konsequente Ablehnung des Abkommens gelobt worden waren, wurden nun plötzlich des Nationalismus gezichtigt: „Wenn die Franzosen Europa sagen, dann meinen sie Frankreich“, erklärte der Publizist Wolf Donner, der unlängst noch in einer dreiteiligen Tip-Serie die katastrophalen Entwicklungen beschrieben hatte, die auf den audiovisuellen Sektor zukämen, wenn nicht bald konsequentere, gebündeltere Filmförderung zustande käme.
Darauf lief es dann am Ende auch hinaus: Gefordert wird die Ausdehnung des französischen, sich selbst recycelnden Fördersystems auf ganz Europa, in dem künftig weniger Filme mit mehr Geld finanziert werden sollen. Für Deutschland heißt das, wie gehabt: Mitfinanzierung durch den Bund statt föderativer Zerfaserung, womöglich ein spielfilmfreier Tag im Fernsehen (mutig von der schleswig-holsteinischen Kultusministerin Marianne Tidlick, den geballten Volkszorn so herauszufordern), Aufbau eines großen, europäischen Verleihs und Zentralisation der Studios – während Amerika eine große Produktionsstätte hat, hat allein Deutschland vier; nicht zu reden von denen in Italien, Polen, Frankreich etc.
Die Organisation der Preisverleihung war ein Trauerspiel wie in jedem Jahr: Ganze fünfzig Plätze für Journalisten aus ganz Europa, ein unfreundliches, überfordertes Pressebüro, eine alberne, an den Kinoerzähler angelehnte Vorführungszeremonie nahmen einem schon die Lust, einen Samstag abend in Babelsberg zu verbringen.
Was die Preisträger angeht: „Urga“ ist eine ländlich-mongolische Angelegenheit, ein bißchen Agfa-Color, ein bißchen Ethnoglück plus Zivilisationskritik (Ulrike Ottinger hat das Terrain in „Taiga“ sehr viel genauer sondiert), und „Orlando“, der den Preis für den „Besten Jungen Europäischen Film“ erhielt, ist eine künstlich verrätselte, hingehauchte Verfilmung des Virginia- Woolf-Romans. Einen Lichtblick aber gab es, in diesem trüben Teich: Daniel Auteuil wurde für seine Darstellung des Stéphane in Claude Sautets „Ein Herz im Winter“ zum „Besten Europäischen Schauspieler“ des Jahres gewählt. Schwer auseinanderzuhalten, wofür man ihn mehr preisen möchte: Dafür, so perfekt der Mann der Achtziger zu sein, so ausgebrannt, schmerzlich attraktiv und die verkörperte Anleitung zum Unglücklichsein; oder für den winzigen Hoffnungsschimmer, der in seiner Distanz zu dieser Figur liegt.
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