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Das Spiel mit dem Klima

Grönländische Eisproben zeigen den Klimaverlauf der letzten 250.000 Jahre / Zwischen Eiszeit und tropischen Temperaturen sprang das Klima in kurzen Zeiträumen ständig hin und her  ■ Von Stefan Klein

Fünf Jahre sibirische Kälte, dann ein Jahrzehnt der Wüstenwinde in Deutschland – so könnte unser zukünftiges Klima aussehen. Das zeigen Eisproben, die Geowissenschaftler kürzlich zwei 3.000 Meter tiefen Bohrlöchern in grönländischen Gletschern entnommen haben. Daraus haben die Forscher das Wetter der vergangenen 250.000 Jahre entziffert, und zwar bis auf Monate genau. Die Ergebnisse beweisen, daß das Klimasystem der Erde viel weniger stabil ist, als bisher angenommen wurde.

Damals, in der sogenannten Eem-Warmzeit, war es im Schnitt zwei Grad wärmer als heute – eine solche Temperatursteigerung sagen viele Prognosen für den Treibhauseffekt voraus. In Mitteleuropa wuchsen zu jener Zeit Palmen. Doch wie sich nun zeigte, wurde die subtropische Wärme immer wieder von Klimakatastrophen unterbrochen: Schlagartig begannnen dann Eiszeiten, die einige Jahrzehnte bis Jahrtausende dauerten und ebenso plötzlich wieder verschwanden. Dies konnten die Forscher vom europäischen Greenland-Ice-core-Projekt anhand der Gletscherproben feststellen. Das damalige Klima war also nicht stabil, sondern sprang ständig zwischen mehreren Zuständen hin und her.

Die Übergänge kamen abrupt und ohne Vorankündigung: Innerhalb weniger Jahre konnten die mittleren Temperaturen um bis zu 15 Grad sinken, „als wäre plötzlich ein Schalter umgelegt worde“, so Richard Alley von der Universität Pensylvania. Bisher wurde angenommen, daß sich das Klima nur allmählich ändert und dafür hunderte bis zehntausende von Jahren braucht. Viele Forscher glauben nun, daß es neben den Mechanismen, die zu den Klimakatastrophen der Vergangenheit geführt haben, noch viele andere solcher „Schalter“ gibt. Einmal ausgelöst, beispielsweise durch Ansammlung von Treibhausgasen in der Atmosphäre, würden sie unvorhersehbare Klimasprünge bewirken. „Die Frage ist, ob die Menschen gerade dabei sind, einen dieser Schalter zu betätigen“, sagte Alley.

Die Folge könnte ein Klimaflattern sein. Ein solches hat Alleys Team am Ende der letzten Eiszeit entdeckt. Damals, vor rund 11.000 Jahren, sprang das Klima oft mehrmals innerhalb eines Jahrzehnts von Eiszeitverhältnissen in den heutigen Zustand und wieder zurück. Ähnliche Klimaschwankungen gab es auch in anderen Erdteilen: Wie Kieler Geologen kürzlich anhand von Gesteinsablagerungen im Indischen Ozean herausgefunden haben, wechselten zur gleichen Zeit die Monsunstärken in Südostasien. Zwar kann die Vegetation einer allmählichen Verschiebeung der Klimazonen durchaus folgen, doch derart dramatische Änderungen von Temperatur und Niederschlagsmenge dürften ihre Anpassungsfähigkeit bei weitem überfordern – ganze Kontinente könnten zumindest vorübergehend veröden. Genau das beunruhigt viele Wissenschaftler an den neuen Ergebnissen; zumal sich inzwischen gezeigt hat, daß Klimasprünge in der Vergangenheit keine Ausnahmen waren, sondern eher die Regel.

So hat eine Forschergruppe um den Geophysiker W. Dansgard von der Universität Kopenhagen das Klima der vergangenen 250.000 Jahre analysiert – aus dieser Zeit stammen die ältesten Eisproben aus den grönländischen Bohrungen. An ihnen lassen sich Jahreszeiten und Klimawechsel ablesen wie an den Ringen eines Baumes: Die chemischen Zusammensetzung des Eises spiegelt die Lufttemperatur zur Zeit seiner Entstehung, sein Staubgehalt das kontinentale Windsystem und die darin eingeschlossenen Treibhausgase den damaligen Zustand der Erdatmosphäre wieder. Im gesamten Zeitraum, den Dansgard und seine Kollegen untersucht haben, fanden sie schnelle und heftige Klimaschwankungen – außer in den letzten 8.000 Jahren, in denen sich unsere Zivilisation entwickelt hat.

Für die offenbar außergewöhnliche Stabilität des jetzigen Klimas wissen die Forscher noch keine Gründe anzugeben. Auch über Ursachen der gerade entdeckten Klimasprünge wird derzeit heftig diskutiert. Eine der Erklärungen geht davon aus, daß während einer starken Erwärmung der Erdatmosphäre der Salzgehalt der Ozeane sinkt, weil die Polargletscher schmelzen. Dadurch könnte das System der Atlantikströmungen schlagartig zusammenbrechen, und das würde zu einer „Eiszeitkatastrophe“ in Europa führen, da der warme Golfstrom ausfiele. Ein Computermodell, das diesen Effekt vorhersagt, wurde am Hamburger Max-Planck-Institut für Meteorologie entwickelt.

Solche Modell beruhen stark auf Beobachtungen aus der Vergangenheit. „Aus diesem Grund sind wir natürlich erfreut über neue Daten“, sagt Manfred Stock vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, wo man sich um Prognosen für den Treibhauseffekt und seine Auswirkungen bemüht. „Anderseits zeigen diese, daß eine plötzliche Erwärmung sehr schnell kommen könnte, und daß der Regelmechanismus des Erdklimas leicht in Instabilitäten gerät. Ein menschengemachter Treibhauseffekt könnte ihn überfordern.“

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