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Waffenflaute in Westeuropa

Ein Drittel der Militärausgaben könnte in der Europäischen Union eingespart werden / Die Rüstungsindustrie weicht auf Exportmärkte aus  ■ Von Andreas Zumach

Berlin (taz) – Die fetten Jahre des Kalten Krieges sind vorbei, Aufträge werden gekürzt oder ganz gestrichen. Nach dem Ende des Ost-West-Konflikts und der Vereinbarung über den Abbau konventioneller Waffen (VKSE) im Gebiet zwischen Atlantik und Ural vom November 1990 wird innerhalb der Europäischen Union (EU) mit einer dauerhaften Reduzierung der Militärausgaben in den bisherigen zwölf Mitgliedsstaaten gerechnet. Von dieser Entwicklung gehen zumindest alle Berichte und Untersuchungen aus, die in den letzten vier Jahren für die Brüsseler Kommission, das Parlament in Straßburg oder für andere Institutionen der Europäischen Union erstellt wurden.

Die Wirtschaftsberatungsgruppe EAG (Economists Advisory Group) etwa geht in ihrer 1992 im Auftrag der Generaldirektion für Regionalpolitik der EU- Kommission angefertigten Studie davon aus, daß die Militärausgaben im Durchschnitt aller zwölf EU-Staaten bis 1995 um rund zehn Prozent zurückgehen werden gegenüber dem Vergleichsjahr 1991, bis zum Jahr 2000 um 25 Prozent. Insgesamt hält die EAG einen Rückgang der Militärausgaben von maximal einem Drittel für möglich. Das entspräche etwa einem Prozent des Bruttosozialproduktes aller EU-Staaten.

Die Entwicklung in den ersten vier Jahren seit dem Fall der Berliner Mauer entspricht den Voraussagen. Ob die prognostizierten Budgetreduzierungen in den Zeiträumen bis zum Jahr 1995 bzw. 2000 aber tatsächlich realisiert oder gar übertroffen werden, ist abhängig von den noch schwer kalkulierbaren politischen Rahmenbedingungen der nächsten Jahre: vor allem von den weiteren Entwicklungen in Osteuropa und der ehemaligen Sowjetunion sowie davon, wie stark sich die USA künftig noch militärisch in und für Westeuropa engagieren werden.

Dem jüngsten Jahrbuch des Stockholmer Friedensforschungsinstituts (Sipri) zufolge bestritten die zwölf EG-Staaten 1991 mit 179 Milliarden US-Dollar rund 18 Prozent der Militärausgaben aller damals 183 Staaten dieser Erde. Jeweils ein knappes Viertel dieser Summe gaben die drei Großen, Frankreich, Großbritannien und Deutschland, aus. Auf Platz vier folgt weit abgeschlagen Italien. Auf keinen der anderen acht Mitgliedsstaaten entfallen mehr als fünf Prozent der gesamten Militärausgaben in der EU.

Abgesehen von einer Verringerung der Soldatenzahlen in einigen wenigen EU-Staaten wurden die bisherigen Reduzierungen der nationalen Militärhaushalte vorrangig durch verminderte Ausgaben bei der Beschaffung von Waffen und Geräten erzielt. Das erhöht den Druck auf die Rüstungsindustrie, die auch vor 1989 bereits über Überkapazitäten und mangelnde Aufträge klagte. Sie versucht deshalb noch stärker, mit außereuropäischen Staaten ins Geschäft zu kommen und ihre Rüstungsgüter zu exportieren.

Unter den zwanzig nach Umsatzzahlen größten Rüstungsproduzenten in der OECD und den entwickelten Ländern des Südens befanden sich 1991 immerhin acht in den EG-Staaten – darunter als größter die British Aerospace sowie auf Platz 17 Daimler-Benz und auf Platz 19 die Dasa. Die anderen zwölf Unternehmen stammen aus den USA. In den acht führenden Rüstungsunternehmen in der EU waren 1991 rund 700.000 Menschen beschäftigt.

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