piwik no script img

Notwendige Utopien

■ Peter Weiss-Tagung: Widerstand heute

Ein Chor klagender Frauenstimmen, auf- und abschwellend wie Sirenengeheul, ein blecherner Gong: Auftakt zur Lesung des Schauspielers Peter Fitz aus dem Roman Ästhetik des Widerstands am Freitag im Literaturhaus. Die Lesung war einer der Höhepunkte der dreitägigen Veranstaltungsreihe Die Bilderwelt des Peter Weiss, die die Internationale Peter Weiss-Gesellschaft organisierte.

Der Wiener Dramaturg Hermann Beil hatte den Auszug für die Lesung aus dem fast 1000seitigen Roman gewählt: Die Geschichte dreier Freunde im antifaschistischen Widerstand „Rote Kapelle“, verwoben mit Reflexion über den Pergamon Altar. Das Heldenfries ist Symbol für die Unterwerfung der „Feinde“ durch die Herrschenden, für ewigen Klassenkampf. Peter Fitz führt die Qualen der Geschundenen vor Augen, die dieses Kunstwerk errichteten, überlagert von den drängenden Fragen der drei Freunde: Wo ist Herakles, der den Unterdrückten zu Hilfe eilte? Kann er Leitfigur des Widerstandes sein? Der griechische Held wird entmythologisiert, stellt sich dar als Rohling, Gewalttäter und als Teil der herrschenden Klasse: Weil er nicht an den herrschenden Zuständen gerüttelt hat, wird er zu den Göttern in den Olymp gehoben. Peter Fitz beendete die Lesung aus dem Werk mit dem Brief des KZ-Häftlings Heilmann, der seine Hinrichtung erwartet. Seine Erkenntnis: Es gibt keine Leitfiguren, wir müssen selbst für uns kämpfen. Mit dem Widerspruch zwischen dem, was 2000 Jahre Revolutionen bewirkt haben und der weiterbestehenden Notwendigkeit einer Utopie entläßt Peter Fitz seine Zuhörer.

Erstmals wurden im Rahmen der Peter-Weiss-Tagung die suggestiven, surrealistischen Avantgarde- und Dokumentarfilme von Peter Weiss gezeigt. Wiederkehrende Motive darin: Prismenfiguren, zerstückelte Gliedmaßen, Gesichtslosigkeit und das Gefühl des Eingeschlossenseins. „Sah Weiss das Medium Film zunächst universell, erkannte er bald, daß die Bilder den Schmerz nur abbilden. 'Will ich ihn ergründen, muß ich schreiben'“, erklärte Beat Mazenauer aus Luzern in seiner Einführung.

Neben neueren Interpretationen zur „Ästhetik“ kamen auch zwei Literaten des aktuellen Widerstandes zu Wort: Der Rumäne Mircea Dinescu und der Kroate Slobodan Snajder, der Weiss als konstitutiv für sein Werk bezeichnet. Der Protagonist seines allegorischen Theaterstückes Trost der nördlichen Seen unternimmt zwar keine gedankliche Reise durch 2000 Jahre Zeitgeschichte wie die Die Ästhetik des Widerstands, sondern nur durch das 20. Jahrhundert. In Anlehnung an Dantes „Inferno“ steigt ein Mensch in die Unterwelt hinab und wird Zeuge der Greueltaten des Jahrhunderts. Gott im Nadelstreifenanzug als Vertreter der Bourgoisie stellt ihm eine grausame Alternative: Reden und zur Salzsäule werden oder Schweigen und ewig leben. Der Held schweigt, und am Ende, als einziger Überlebender an einem Strand voller Tierkadaver, erkennt er den Fluch. „Die Verdrängung der Geschichte, nicht nur in Deutschland, ermöglicht, daß sich dieselben Greuel heute wiederholen“, ist Snajders bitteres Fazit.

Gaby Werner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen