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Licht ins Dunkel

■ Interessengruppe erwachsener Adoptierter in Bremen gegründet

Eines Tages wühlt das Kind am Schreibtisch rum und findet die Mappe in der „alle wichtigen Papiere drin sind“. Auf einmal hat sie ihre eigene Geburtsurkunde in der Hand, auf der eine andere Mutter und ein anderer Name angegeben ist. Trotz ihres schlechten Gewissens etwas Verbotenes getan zu haben, stellt sie ihre Eltern zur Rede. Das plötzliche Wissen, ein Adoptivkind zu sein, raubt vielen Kindern die innere Ruhe. Sie möchten wissen, wo sie herkommen.

„Wo bisher nur ein dunkles Loch gewesen ist, kommt irgendwas hin. Es ist ein Gefühl, als wenn dieses Loch ausgefüllt wird.“ Mit solch vagen Sätzen beschreiben erwachsene Adoptierte ihre Gefühle, wenn es ihnen gelungen ist, ihre leibliche Mutter zu treffen. „Es kommt Licht ins Dunkel der eigenen Herkunft“, ergänzt Susanne. Sie trifft sich seit einigen Wochen mit etwa zehn weiteren erwachsenen Adoptierten aus Bremen und dem Umland. In der Bundesrepublik existieren bisher nur drei solche Gruppen.

„Adoption ist immer noch ein großes Tabu-Thema“, sagt Jürgen. Nach der anfänglichen neugierde, würden die meisten Menschen das Thema nicht weiter vertiefen wollen. Weil die Adoptiveltern das Thema ebenfalls häufig tabuisieren, wissen die Adoptiveltern von zwei der TeilnehmerInnen im Gesprächskreis nichts von der Suche ihrer Kinder nach ihrer Herkunft. „Meine Eltern wären völlig entsetzt“, sagt Hanna. Und auch Susanne meint, daß sie lange mit der Idee einer solchen Gruppe gehadert hat. Schlechtes Gewissen ihren Eltern gegenüber spielte dabei eine große Rolle. Mit neun Jahren erfuhr sie, daß sie adoptiert ist.

Die innere Ruhe ist ebenfalls gestört, wenn die Kinder zwar früh über die Adoption aufgeklärt sind, jedoch nicht weiterfragen dürfen. „Das Problem ist, daß die Erwachsenen das Nachfragen der Kinder nicht aushalten können“, erzählt Susanne. Die Fragen nach den leiblichen Eltern werden von den Adoptiveltern meist ausweichend beantwortet, berichten die Gruppenmitglieder. „Ich bekam immer den Eindruck vermittelt, daß meine leibliche Mutter eine Schlampe ist“, sagt Katrin. Ihre Eltern hatten mit den Adoptionspapieren Photos von ihr als Baby im Heim mitbekommen. „Das Kind da auf den Photos, das bin ich irgendwie gar nicht“, sagt sie.

Allen gemeinsam ist die Erfahrung, daß die Adoptiveltern ihre Kinder an Kindes statt mit sich selbst vergleichen, als seien sie ihre leiblichen Kinder. Aussagen wie „Das hast du von Papa“ haben in Yvonnes Leben völlige Verwirrung angerichtet. Denn sie wußte bereits, daß es nicht ihr „richtiger“ Papa ist. „Ach, sie ist ja ganz die Mama“, sagte kürzlich eine Bekannte von Hannas Mutter zu ihr. Hannas Adoptivmutter schaute sie flehend an. Der Blick bedeutete: Lüfte nicht das Geheimnis. Jürgen vermutet, daß die meisten Eltern aus Angst so tun, als seien sie die leiblichen Eltern. „Die Eltern brauchen keine Angst zu haben, daß sie ihr Kind verlieren, nur weil es seine Mutter kennt. Die Eltern bleiben die Eltern, die man liebt“, sagt er.

Yvonne rät jedem, sich auf die Suche nach dem eigenen Ursprung zu machen. Vor einigen Jahren hat sie ihre Mutter gefunden. „Nun weiß ich einfach, wer sie ist, und daß sie gar nicht so schlecht war“, sagt sie. Jürgen hat bei seinen Nachforschungen festgestellt, daß seine Mutter schon tot ist. Aber plötzlich erfuhr er, daß er Geschwister hat. Er nahm Kontakt auf. „Es ist toll, wir haben uns getroffen und viel erzählt und Photos gezeigt. Meine fünf Geschwister sind alle woanders aufgewachsen und kannten sich untereinander auch noch nicht. Es ist toll, daß wir uns gefunden haben“, erzählt Jürgen strahlend.

Der Weg des Suchens nach der leiblichen Mutter hört sich im Nachhinein so einfach an. Aber dem Anfang der Suche gehen zunächst Jahre des Nachdenkens voraus. Es folgen Nachfragen und Besuche der erwachsenen Adoptierten auf mehreren Ämtern. In der Gruppe geben sie sich gegenseitig Informationen, wo man überhaupt nachforschen kann. „Ich hatte Angst, daß sich alle Türen verschließen, wenn ich die Wahrheit sage“, erzählt Hanna. Beim Einwohnermeldeamt oder der Adoptionsvermittlungsstelle im Jugendamt wird ihnen weitergeholfen. „Wer noch nicht bereit ist, die Wahrheit zu erfahren, bekommt keine Auskunft auf den Ämtern“, das ist eine Erfahrung, die fast alle gemacht haben. Offenbar haben die Beamten ein feines Gespür für die Lage derjenigen, die dort nachfragen.

Aber plötzlich sei das Gefühl da, daß man jetzt alles wissen will, berichtet Susanne. Susanne stand eines Tages in einer Telefonzelle des kleinen Ortes, in dem sie ihre Mutter vermutete. Sie rief nacheinander alle Nummern des betreffenden Namens an und wurde irgendwann fündig. Erst jetzt hat sie eine Herkunft. „Früher dachte ich immer, ich komme nicht aus dem Bauch meiner Mutter: Ich kam aus dem Heim.“

Die Namen der im Artikel erwähnten Personen sind auf Wunsch geändert.

Vivianne Agena

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