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Wohnen im wilden Osten

■ Kleine und große Geschäftemacher vermieten kommunale Wohnungen im Ostteil der Stadt für weit überhöhte Preise / Berliner Mieterverein: Von Banden organisiert

„Mitte, 2-Zi.-Whg., 75 qm, möbliert, 900,- Kaltmiete, Kaution.“ Michael Kreile, als Student aus der westdeutschen Provinz nach Berlin gekommen, blätterte nicht zum ersten Mal in der Zweiten Hand. Eigentlich hatte er in den Westteil der Stadt ziehen wollen, am liebsten nach Kreuzberg. Doch nach zehn, zwanzig Anrufen hatte er noch nicht einmal einen Besichtigungstermin. Warum also nicht in die Berliner Mitte ziehen, dachte er. Zentral ist es allemal, und wenn er die Wohnung mit einem Freund teilen würde, machte das für jeden 450 Mark – ein Preis, den er im Westen auch geschluckt hätte.

Der Einzug folgte überraschend schnell und unkompliziert. Schon zwei Tage später schloß Michael mit Marko Ostrowski* den Mietvertrag. Einen Vertrag allerdings, der nur die Nutzung eines Zimmers samt Möblierung für 300 Mark, zahlbar zum Monatsersten, regelte. Die Wohnungsbaugesellschaft, erfuhr Michael, erlaube nämlich nur die Untervermietung eines Zimmers. Die restlichen 600 Mark sollte er jeweils zur Mitte des Vormonats überweisen. Außerdem verlangte der Hauptmieter, der stets „mit rotem Alfa und Hawaihemd“ vorfuhr, 3.000 Mark Kaution: „Du weißt ja, wie die Situation auf dem Berliner Wohnungsmarkt ist!“

Kein Einzelfall, wie Hartmann Vetter, Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins, meint: Auf „einige Tausend“ schätzt er die Zahl der Untermietverhältnisse im Ostteil Berlins, bei denen mehr als das Doppelte des gebundenen Preises verlangt und gezahlt wird. Diese „Ausnutzung der Notlage auf dem Berliner Wohnungsmarkt“ werde zum Teil „richtig bandenmäßig“ von Leuten „in Wagen einer bestimmten Automarke mit Autotelefon“ organisiert, die Wohnungen über Strohmänner anmieteten.

Die Wohnungsbaugesellschaften erfahren in der Regel nichts davon. Schließlich fürchten beide, sowohl Haupt- als auch Untermieter, den Verlust der Wohnung. Falls doch, schickt die Wohnungsbaugesellschaft Mitte, so ihr Geschäftsführer Falk Jesch, dem Hauptmieter zunächst eine Abmahnung. Wirft der seinen Untermieter dann nicht hinaus, liegt die Kündigung im Briefkasten. Ob die Wohnung dann an den Untermieter vergeben wird, „ist völlig unsicher“ und hängt von den persönlichen Umständen ab, zumindest aber von einem passenden Wohnberechtigungsschein (WBS).

Der Mieterverein fordert eine Amnestie für alle Untermieter, die bis zu einem Stichtag eingezogen sind – sie sollen für ihre Wohnungen einen Hauptmietvertrag bekommen, wenn sie einen passenden WBS besitzen. Einstweilen rät Vetter dem einzelnen Untermieter, über eine Vertrauensperson zunächst anonym mit der Wohnungsbaugesellschaft Kontakt aufzunehmen und darum zu bitten, ihm die Wohnung zu überlassen: Nur so kann diesen Geschäftemachern das Handwerk gelegt werden.“

Die Geschäfte Ostrowskis freilich laufen weiter. Zwar durchschaute Michael bald, daß sein Vermieter für die Wohnung gerade mal 286,64 Mark zahlte. Als dieser ihm – offenbar zur juristischen Absicherung – schriftlich mitteilte, daß es sich bei den 300 Mark nicht (wie auf dem Zahlschein stets vermerkt) um eine zweite Rate handelte, entschloß er sich, daraus die Konsequenzen zu ziehen und stutzte die Miethöhe kurzerhand auf das gesetzlich zulässige Maß zurecht.

Zugleich wechselte Michael das Schloß aus, um sich vor Ostrowski zu schützen, der für den Fall von Zahlungsverzögerungen erhöhte Gewaltbereitschaft durchblicken ließ: „Du bist hier nicht im mutterbehüteten Westen, du bist im wilden Osten!“ Dennoch hielt er dem Psychoterror der Vermieters, der drohte, die Tür aufzubrechen und „alles kurz- und kleinzuschlagen“, nicht stand. Fluchtartig zog er schließlich aus. Auch den Gang zur Wohnungsbaugesellschaft wagte er nicht.

Inzwischen zog Michael vor Gericht, um wenigstens seine Kaution zurückzubekommen. Auch wenn Ostrowski — dem jedes Schuldbewußtsein abging — drohte: „Sollten Sie die lächerliche Dreistigkeit besitzen, Ihre witzigen Forderungen einzuklagen, werde ich sämtliche Hebel in Bewegung setzen!“ Ralph Bollmann

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