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Boris Karloffs Augenbraue

Filme des legendären B-Movie-Regisseurs Edgar G. Ulmer (1904–1972) im Arsenal  ■ Von Anke Leweke

An manche Titel seiner Filme konnte sich Edgar G. Ulmer schon gar nicht mehr erinnern. Vergessen waren auch die Namen der vier Western, die er in den dreißiger Jahren unter Pseudonym für ein kleines amerikanischen Studio inszenierte. Auftragsarbeiten, aufgenommen in fünf Tagen und fünf Nächten, mit einem zweiseitigen Skript als Vorlage.

In der Zeit, die andere für die Einrichtung der Kamera benötigten, machte der gebürtige Wiener seine Filme und graste nebenbei vom Science-fiction-, Horror- und Skandalfilm bis zu Musicals und Melodramen alle möglichen Genres ab.

Ulmer orientierte sich an den Kassenschlagern der jeweiligen Filmgattung, übertraf sie jedoch häufig an Originalität und technischer Gewandtheit. Mit „Detour“ aus dem Jahr 1945 lieferte der von François Truffaut und Konsorten verehrte Schnelldreher einen abgrundtief pessimistischen film noir ab, mit allem, was dazugehört; fürchterlichen Schicksalsschlägen, unglaublichen Zufällen, Rückblenden und einem verzweifelten Off-Kommentar. Seinen Helden katapultierte Ulmer in eine schier ausweglose Situation. Der New Yorker Barpianist Al Roberts trampt zu seiner Freundin nach Los Angeles. Der Mann, der ihn mitnimmt, stirbt an einer Herzattacke. Erschrocken beseitigt Roberts die Leiche, tauscht die Anzüge aus und nimmt die Identität des Toten an. Wenig später nimmt er selbst eine junge Frau mit. Das wird ihm zum Verhängnis. Sie kennt den Toten und verdächtigt Roberts, diesen umgebracht zu haben. Die Schöne erweist sich als bösartiges Luder – Roberts findet sich in den Fängen einer skrupellosen Erpresserin wieder. Während eines Streits bringt er das kratzende Biest versehentlich um. Nun hat er zwei Leichen am Hals und eine Story, die ihm wohl niemand glauben wird.

In wenigen Sätzen erläutert Edgar G. Ulmer seinem jüngeren Kollegen Peter Bogdanovich in einem Interview sein dramaturgisches Erfolgskonzept: „Folge einem Charakter und erzähle die Geschichte aus dem Blickwinkel dieses Charakters. Wechsle nie vom Jungen zum Mädchen, denn die Leinwand kann nicht zwei Geschichten zur selben Zeit erzählen. Sie muß aus dem Blickwinkel einer Person erzählt werden. Und wenn du das tust, bekommst du einen gewissen Stil.“ Mit „Ruthless“ („Ohne Erbarmen“, 1948) gelang Ulmer so ein Kunstgriff, indem er aus der Perspektive eines Jugendfreundes in fortlaufenden Rückblenden die Geschichte des ehrgeizigen und rücksichtslosen Horace Vendig schildert, der sich vom armen Adoptivkind zu einem der reichsten Männer Amerikas hocharbeitet.

Nicht nur die Gradlinigkeit seiner Filme macht Ulmers „gewissen Stil“ aus, hinzu kommt sein Hang zu ausgefallenen Dekors. Bevor er zur Regie kam, verdiente er sein Geld als Bühnenausstatter am Theater (als Jugendlicher malte er die Kulissen für Max Reinhardt, für den er auch später weiterarbeitete) und als Assistent des Filmarchitekten Hans Poelzig. Horace Vendig läßt er in „Ruthless“ durch die endlosen Gänge eines mit neureichen Geschmacklosigkeiten vollgestopften Schlosses wandeln, nahtlos fügt sich der Emporkömmling in die stillose Umgebung ein. Mit der Ausstattung für „The Black Cat“ entstaubte Ulmer den Horrorfilm. Schauplatz ist allerdings nicht ein düsteres Anwesen mit nebligem Friedhof, sondern eine helle Bauhausvilla in den Bergen. Unheimlich ist hier die perfekte Funktionalität der mit Gleittüren und Digitaluhren versehenen eleganten Wohnmaschine samt dämonisch-diskretem Hausherrn. Dem modernen Setting paßt sich Boris Karloff, hier mal Monster mit Manieren, wie ein Chamäleon an, die Linie seiner Augenbrauen setzt den Schwung des Stahlrohrstuhls fort.

Trotz des kommerziellen Erfolges von „The Black Cat“ verließ Ulmer Universal Pictures und drehte unabhängig produzierte Filme in jiddischer Sprache. Mit „Jankl der Schmied“ verfilmte er 1938 ein naturalistisches Theaterstück über einen stimmgewaltigen Charmeur mit Hammer und Amboß. Einer der wenigen jiddischen Filme, die nicht im Schtetl spielen, ist „Amerikaner Schadchen“ von 1940 – eine im modernen New York spielende Variante des traditionellen jüdischen Heiratsvermittlermotivs, in der sich ein reicher Geschäftsmann (gespielt von Leo Fuchs, dem „jiddischen Fred Astaire“) der zweiten Immigrantengeneration aus Osteuropa plötzlich auf die Kupplerqualitäten seiner Vorfahren besinnt und ein Büro für „Human Relations“ gründet. In Interviews gab sich Edgar G. Ulmer gerne großkotzig, und nicht gerade bescheiden skizziert er auch seine Bedeutung in der Kulturgeschichte des Abendlandes etwa folgendermaßen: „Mein Weg oszilliert zwischen Kafka und Camus, dazu kommt die Technik jener Religion, die die Kathedrale von Chartres konstruiert hat.“

In den nächsten Tagen zu sehen: „The Black Cat“ (OF), 12.12., 22.30 Uhr; „Detour“ (OF), 14.12., 22.15 Uhr; „Menschen am Sonntag“, 16.12., 18 Uhr, Arsenal, Welser Straße 25, Schöneberg.

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