: Schuld sind immer nur die anderen
RWE-Konzernchef Gieske: Standort Deutschland wird immer schlechter, Schuld sind die Politiker / Im Atombereich hat RWE bislang 10 Milliarden Mark in den Sand gesetzt ■ Aus Essen Klaus-Peter Klingelschmitt
„Prädikat: ,gut behauptet!‘“ So bewertete der Vorstandsvorsitzende der Rheinisch Westfälischen Elektrizitätswerke (RWE), Friedhelm Gieske, gestern in Essen auf der Hauptversammlung des Konzerns die Lage seines Unternehmens. Doch in den harten Zeiten der europaweiten Rezession sitzt (auch) bei den Großkonzernen der Republik das Krisengespenst mit am Vorstandstisch. Die Angst geht um – vor allem vor den osteuropäischen Reformstaaten, die nach der Überwindung ihrer Umstellungsprobleme den Wettbewerb auf vielen Märkten weiter verschärfen würden.
„Für die etablierten Länder, wie Deutschland, wird es immer schwerer, ihre Domänen zu behaupten“, meinte Gieske gestern. Deutschland sei nicht nur wegen hoher Löhne und langer Genehmigungsverfahren, angeblich überhöhten Unternehmenssteuern und die hohen Umweltschutzstandards weiter zurückgefallen. Das Land habe auch bei seinen „traditionellen Stärken“ – „Bildungswesen, Infrastruktur und Stabilität“ – an Boden verloren. Es müsse endlich Schluß gemacht werden mit der „Vollkaskomentalität“ am Standort Deutschland.
Der Konzern RWE wird hierzu seinen Betrag leisten. Nicht mehr „vollkasko“ leben können werden demnächst MitarbeiterInnen der Konzernbereiche Bergbau, Mineralöl und Chemie und Energie, die in den kommenden Jahren entlassen werden müßten.
Daß der Außenumsatz des gesamten Konzerns trotz Krise um 2,6 Prozent auf 53,1 Milliarden Mark gestiegen ist, führte der Vorstandsvorsitzende auf die erstmalige Einbeziehung ostdeutscher Unternehmen in den Konzernabschluß zurück. Zur Freude der anwesenden Kleinaktionäre und Aktiendepotvertreter konnte RWE deshalb auch in diesem Jahr eine Dividende von 12 DM pro 50-DM- Aktie ausschütten – bei einem Konzernüberschuß von 881 Millionen DM (1992: 877 Millionen DM).
Wenig Freude bereitet Gieske und Kollegen dagegen der Konzernbereich Energie. Schuld sei aber nicht eine verfehlte Politik der RWE vor allem im Atomenergiebereich, sondern das „Fehlverhalten“ der PolitikerInnen. Um 0,6 Prozent ging der Konzernumsatz im Energiebereich zurück. Daß die rheinland-pfälzische Umweltministerin Martini (SPD) noch kurz vor der Hauptversammlung dem Konzern die Dauerbetriebsgenehmigung für das AKW Mühlheim- Kärlich habe verweigern können, führte Gieske auf das „Fehlen einer einheitlichen und langfristig tragfähigen Energie- und Umweltpolitik“ zurück. „Trotz modernster Sicherheitstechnik“ stehe Mühlheim-Kärlich weiterhin still. Und in Hessen habe Umweltminister (Joschka Fischer) erst eine einzige Genehmigung für das „umfangreiche Nachrüstungsprogramm“ des Konzerns für die Blöcke A und B in Biblis erteilt. Der Vorstandsvorsitzende bedauerte denn auch das Scheitern der sogenannten Energiekonsensgespräche. Gieske will die Tür weiter offenhalten.
Erstmals gestand Gieske Probleme bei der Entsorgung des Atommülls auch öffentlich ein: „Wir warten hier auf Entscheidungen der Politik.“
Aktuell blieb der Vorstandschef die Antwort auf die Frage von Umweltschützer und Kleinaktionär Eduard Bernhard (BBU) nach den Gesamtkosten für die in den Sand gesetzten Investitionen im Atomenergiebereich nicht schuldig: Wiederaufarbeitungsanlage Wackersdorf, Mühlheim-Kärlich, Schneller Brüter, Karlstein/Kahl, Super-Phönix etc. – rund 10 Millarden DM. Und für alle Eventualitäten hat RWE noch einmal knapp 10 Milliarden DM als „Sicherheit“ zurückgestellt.
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