: Mögen Sie K.? Ist o.k.
■ Kafkas „Prozeß“ im Teatr Kreatur
„Kennen Sie K.? Den K. sollten Sie kennenlernen“, hieß es in der Vorankündigung für die jüngste Premiere oder besser Uraufführung des Teatr Kreatur. Den K. sollten Sie tatsächlich kennenlernen, auch wenn Sie ihn nicht unbedingt verstehen werden. Er spricht nämlich polnisch. Schwarzer Anzug, schwarze Krawatte, schwarze Melone, weißes Hemd, so steht er (Dzidek Starczynowski) da, rollt mit den dunklen Augen und richtet sie flehend nach oben; wie in einem Stummfilm, dem man versehentlich die falsche Synchronsprache unterlegt hat.
Sie kennen die Geschichte, sie stammt von Kafka. K. wird verhaftet, vergeblich versucht er, seine Akte einzusehen; er bestreitet jedwede Schuld, verstrickt sich immer mehr in den Fallen des unbekannten Gesetzes. Das Urteil wird gefällt, die gerichtlichen Instanzen bleiben anonym. Andrej Woron, in Berlin lebender Maler und Regisseur, der sein Theater der armen Kreaturen (aber reichen Objekte) seit ein paar Jahren auf Erfolgskurs gebracht hat, konkretisiert die Geschichte, ohne ihr den gleichnishaften Charakter zu nehmen.
Sein K. ist Ausländer. Er versteht nicht, was und warum man ihm etwas vorwirft. Während er zu Beginn der Aufführung in seinem Kämmerchen auf dem Bett sitzt und einsam sein Cello bestreicht, bricht die Wirklichkeit schlagartig ein: „Schwarzbraun ist die Haselnuß“, dröhnt es aus dem Lautsprecher. Ein Soldat salutiert, eine der typischen Lumpensammlerfiguren Worons zieht Vorhang für Vorhang auf und gibt den Blick frei auf eine Reihe seltsamer Stühle in Seilkonstruktionen, die halb an ein Kettenkarussell vom Jahrmarkt, halb an einen elektrischen Stuhl in einer Zelle gemahnen. Ganz schön finster jedenfalls. Das Stück beginnt, weitere derbe politische Anspielungen wird es nicht geben.
Ist K. nun wirklich verhaftet? Zunächst bleibt er in Freiheit, die nur durch diverse aufdringliche Frauengestalten geschmälert wird. Zwei Damen seien hier repräsentativ erwähnt; die eine erscheint im roten hochgeschlitzten Kleid, die andere kommt peitschenknallend im Reisekostüm daher, gierige Herumtreiberinnen, die einen kleinen Exoten wie K. gerne verschmausen würden: „Der Negerkuß / so weiß / so schwarz / ein Hochgenuß“, skandieren sie.
Allerlei buntes armes Volk, in Lumpen gehüllt, mit weiß oder grell geschminkten Gesichtern, bevölkert eine Gassenbude mit diversen Holzverschlägen — getretenes Erdengewürm. Sie ergreifen zwar durchaus mal Partei für K., insbesondere die Frauen, doch wenn der übergroße Untersuchungsrichter, mit grau geschminktem Gesicht und im grauen Leichenhemd, oben auf seinem Karren thront und den völkischen Chor dirigiert, dann heißt es schnell: „Heimat-Schande“. Und so ist es am Ende keineswegs nur ein anonymes Gericht, sondern ein ganzes Volk, das unseren K. richten wird.
Auch oder gerade die Familie läßt ihn im Stich. Neben dem Onkel gibt es bei Woron auch den Vater — bei Kafka eine durchgängige Formel für das eiserne Gesetz. Er rollt einen Tisch herein, an dem Mutter und Sohn als Puppen sitzen. „Du siehst, ich habe schon längst alles aufgegessen“, schwadroniert er und herrscht seine ohnehin leblose Familie schließlich mit „Keine Widerrede“ an. Die Familie als Stellvertreter der Gesellschaft und als Hüter, Bewahrer, Exekutoren des Gesetzes: Zum Schluß erzählt der Onkel die berühmte Kafkasche Geschichte vom Türhüter und dem Mann, der vergeblich Einlaß ins Gesetz begehrt. Währenddessen bauen sich die anderen Schauspieler in zwei Reihen auf, einige streichen den Kontrabaß; und was macht Herr K.? Er stellt seinen Stuhl in die einzige leere Zelle; auf den anderen Stühlen der Seilschaften sitzen mittlerweile lebensgroße Puppen. Sie werden von den Schauspielern an Seilwinden hochgezogen, dann sausen gleichzeitig die Stühle herunter – Hinrichtung des Herrn K., der seinen einzigen deutschen Satz sagt: „Wie ein Hund“. Auch dieser Satz stammt aus einem nachgelassenen Kapitel zum Roman und ist nicht etwa eine aufgesetzte politische Pointe.
Woron hat diesmal mehr mit Text gearbeitet als in seinen vorhergehenden Inszenierungen, und sein Librettist Martin Pohl hat sich dabei ziemlich wortgetreu an die Originalvorlage gehalten. Was früher auf wenige Sätze, Sentenzen, Reime verknappt war, wird zu ganzen Textpassagen ausgebaut, und für diese neue Form der alten Form haben die Schauspieler möglicherweise noch nicht den rechten Zugang gefunden. Außerdem leidet das Tempo der Inszenierung etwas; dieses natürlich noch immer üppige Bildertheater erscheint weniger von magischer Hand aufgezogen als früher, das Bilderkarusell dreht sich nicht mehr so schnell. Sagen wir einfach mal: die Fäden und Schnüre werden sichtbar. Aber Woron arbeitet ja offensichtlich an neuen Modellen. Sabine Seifert
„K.“, eine Teatr Kreatur Vision in 15 Bildern von Andrej Woron. Nächste Aufführungen: 11./12., 16.-19., 23., 25./26. 12., Theater am Ufer, Tempelhofer Ufer 10, Kreuzberg.
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