: Platon in die Brillo-Box!
Arthur C. Danto therapiert den alten Ehekrieg von Kunst und Philosophie ■ Von Frank Lucht
Seit Platons Abrechnung mit den Malern und Dichtern im zehnten Buch seines „Staates“ ist gegen die Kunst folgendes Urteil ergangen: Sie lügt und betrügt. Sie ist zu nichts nutze und verdirbt noch den Tugendhaften. Deshalb ist sie aus der Republik zu entfernen. Die platonische Entmündigung der Kunst war folgenschwer. Ihr gesellt sich in diesem Jahrhundert eine positivistische Entmündigung an die Seite, die neben der Kunst nun auch jede noch irgend metaphysisch verfaßte Philosophie entmündigt wissen will. So hat Rudolf Carnap Lyrik, Lachen und Metaphysik in einen Topf geschmissen und mit dem (hier pejorativen) Etikett „expressiv“ versehen. Später hat das philosophische Verfahren der Dekonstruktion Schule gemacht, das die Gattungsunterschiede zwischen Literatur und Philosophie mehr oder weniger einebnet und in beiden nur noch ein kontingentes Gewimmel von Metaphern sieht. Wo gestern der Positivismus die Kunst ins Ephemere abgeschoben hat, reagiert heute die Dekonstruktion eines Derrida oder Rorty mit deren Annexion. Sie treibt die Entmündigung der Kunst fort in eine Selbstentmündigung der Philosophie.
Für den New Yorker Philosophen Arthur C. Danto gleicht die Geschichte der Kunst in ihrem Verhältnis zur Philosophie einer gründlich mißratenen Ehe, der man nur zur Scheidung raten kann. Denn es war eine Macho-Ehe im Zeichen des philosophischen Patriarchats. Sie war schön, sensibel und stumm; er redete für sie, war zwar grob, aber intelligent. Aber eines Tages, die Ehe war längst zerrüttet, wurde die Kunst philosophisch und die Philosophie nervös. Für Danto persönlich war dies jener Tag im Jahr 1964, als Andy Warhol in der New Yorker Stable Gallery seine Brillo-Kartons ausstellte. Danto sah darin eine besondere kunstphilosophische Herausforderung: Wie kann etwas ein Kunstwerk sein, das sich in seinem Äußeren durch nichts von seinem Doppelgänger im Supermarkt unterscheidet? Eine erste Antwort versuchte er noch im selben Jahr in einem Aufsatz mit dem Titel „The Artworld“. Siebzehn Jahre später, nach einer Reihe kleinerer Studien, führte ihn diese Frage zu seiner Kunstphilosophie von 1981, „The Transfiguration of the Commonplace“ („Die Verklärung des Gewöhnlichen“, dt. 1984). Mit seinem Aufsatzband über die philosophische Entmündigung der Kunst, dessen Beiträge in den Jahren danach entstanden sind, versucht Danto, „die Kunst durch die Philosophie von der Philosophie zu heilen“, Kunst und Philosophie in einem emanzipierten Verhältnis zueinander zu denken. Er deutet das Philosophischwerden der Kunst als Zeichen ihrer Modernität. Geduldig geht er auf die notorischen Klagen über ihre Wirkungslosigkeit ein, versucht ihre Identitätskrise zu verstehen und stellt sich dem seit Hegel beständig erneuerten Verdacht, sie könnte in ihrer hergebrachten Form längst am Ende sein. Die Kunst ist Danto zufolge so nahe daran, „zu ihrer eigenen Philosophie zu werden, daß es scheint, als bedürfe sie der Rettung durch die Philosophie, um in der philosophischen Reflexion über sich selbst nicht ihre Identität zu verlieren“. Könnte fast von Adorno sein; Danto meint, Warhols Brillo-Kartons seien insofern philosophisch, als es in ihrem Fall nichts mehr hilft, besonders genau hinzusehen, um das spezifisch Künstlerische an ihnen zu erkennen. Warhol zieht das künstlerische Moment vom Gegenständlichen und sinnlich Wahrnehmbaren ab und bürdet es ganz der Theorie auf.
So hatte also Hegel Recht gehabt, als er behauptete, daß die Kunst, nachdem die Zeit ihrer „höchsten Bestimmung“ vergangen sei, sich unweigerlich in Philosophie verwandeln würde. „Wenn die Kunst ihre eigene Geschichte verinnerlicht“, schreibt Danto, „wenn sie sich ihrer Geschichte bewußt wird, wie es in unserem Jahrhundert geschehen ist, so daß das Bewußtsein ihrer eigenen Geschichte zu ihrer Natur gehört, dann verwandelt sie sich vielleicht zwangsläufig zuletzt in Philosophie. Und dann, nun, dann gelangt die Kunst wohl tatsächlich in einem ganz entscheidenden Sinn an ein Ende.“ Aus diesem Grund hält Danto es aber auch für übereilt, die Philosophie im Gegenzug zu literarisieren. Die Philosophie muß diese Schwierigkeit denken, und wenn sie dabei selbst an ein Ende gerät. Die Spannung zwischen der Kunst und ihrer Interpretation ist interessanter und führt zu intelligenteren Ergebnissen als der süßliche Brei, der manchen zur Zeit als „ästhetisches Denken“ auf der Zunge zergeht.
Aber was ist, wenn Warhols Brillo-Kartons einfach Antikunst sind und ihr Gestus schlicht der, jeder noch so subtilen Interpretation eins auszuwischen? Könnte und sollte nicht Schluß sein mit der Interpretation, wie es Susan Sontag in den sechziger Jahren in ihrem Essay „Against Interpretation“ gefordert hat? Schluß, fragt sich dann allerdings sofort, mit welcher Interpretation? Danto zeigt in einem seiner Aufsätze („Tiefeninterpretation“), daß damit nicht jede Art der Interpretation gemeint sein kann; auf keinen Fall jene oberflächliche, mit der man ein Kunstwerk überhaupt erst als Kunstwerk identifiziert. Ohne Interpretation ist Kunst nicht zu haben. Schon das Werk ist eine Interpretation des Künstlers. Und jede Interpretation von außen geschieht im Vertrauen darauf, mit der künstlerischen Interpretation zu konvergieren.
Sieht man von Adornos Ästhetik einmal ab und auch von den Techniken der Dekonstruktion, gehören Dantos Arbeiten neben denen Nelson Goodmans zum Erhellendsten, was die Philosophie auf dem Gebiet der Ästhetik in den letzten Jahrzehnten geleistet hat. Wer einmal das Unglück erfuhr, mit einer angegrauten Volkshochschulgruppe vor Beuys' „Zeige deine Wunde“ zu stehen und Bemerkungen von Poltscher Qualität zu hören („Und dafür hat der dreihundertfünfzigtausend Mark bekommen!“), weiß Dantos am Phänomen arbeitende, dabei grundsätzlichen Fragen zugewandte Argumentationsweise zu schätzen.
Seine These, daß seit Platon die Kunst in der abendländischen Geschichte von der Philosophie unterjocht worden sei, ist freilich arg herbeigeholt. Hier verhindert das schlechte Gewissen der Philosophie womöglich eine sachliche Rekonstruktion des tatsächlich doch viel verwickelteren Verhältnisses von Philosophie und Kunst. Schiller und Goethe, um ein einheimisches Beispiel zu nennen, reagierten begeistert, nicht etwa entsetzt oder belustigt, auf Kants „Kritik der Urteilskraft“, von der sich viel sagen läßt, nur nicht, daß sie besonders kunstverständig ist. Es wäre auch abwegig, Dürer als ein Opfer der Philosophie anzusehen, weil seine Arbeit von neuplatonischem Denken geprägt ist. Und wenn der Maler Barnett Newman auch sagt: „Die Ästhetik ist für die Kunst, was die Ornithologie für die Vögel ist“, verweist er doch andererseits ständig auf Burke und Kant, um seine Vorstellung vom Erhabenen zu erläutern.
Dantos Aufsätze sind glücklicherweise zu eigensinnig, als daß sie an dieser These, die sie verklammern soll, ernsthaft Schaden nehmen würden.
Ein Schwerpunkt der Essays liegt in der Auseinandersetzung mit jener neueren philosophischen These, daß die Philosophie Literatur sei. Daß auch ein philosophischer Text mit Metaphern arbeitet, so Danto, sollte Philosophen wie Derrida nicht dazu verleiten, ihn auf ein Ineinandergleiten von Bildern zu reduzieren; was in einem philosophischen Zusammenhang „als ein Bild erscheint“, kann „in Wahrheit eine strukturelle Hypothese darüber sein, wie eine Realität zu verstehen sei, für die uns die Wörter fehlen“.
Um Dantos Studien mit Gewinn zu lesen, muß man nicht unbedingt ihre etwas zugespitzten Voraussetzungen teilen. Man muß nicht der Meinung sein, daß sich die philosophische Ästhetik einzig als der hinterhältige Versuch zusammenfassen läßt, die Welt vor der Kunst zu schützen. Man muß auch nicht Dantos Argwohn gegen Derrida teilen. Man kann zuletzt sogar glauben, daß Dantos Absicht, „die Kunst durch die Philosophie von der Philosophie zu heilen“, ein leicht verdächtiges Unternehmen ist. Am Ende des Vorworts zur deutschen, von Karen Lauer klasse übersetzten Ausgabe steht aber eine ziemlich einnehmende Utopie: „Wer weiß, welche Formen die Philosophie finden wird, wenn sie in unserem Leben einmal eine höhere Rolle spielt als die eines Wächters, der die Sinne bewacht.“
Arthur C. Danto: „Die philosophische Entmündigung der Kunst“. Aus dem Englischen von Karen Lauer. Wilhelm Fink Verlag, 260 Seiten, 44 DM.
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