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Mit der Kunst als Thermostat

Versuchsreihencharakter: Die Installationen der norwegischen Künstlerin Marianne Heske  ■ Von Thomas Fechner-Smarsly

Letzte Zuflucht, Behausung im Unbehausten, Grenzstation an der Schwelle zwischen Natur und Zivilisation: 1980 ließ die Künstlerin Marianne Heske eine kleine grasbedeckte Holzhütte aus dem westnorwegischen Tafjord, dem Ort ihrer Kindheit, nach Paris versetzen – ins Centre Pompidou. Zuvor hatte sie sich den hölzernen Unterschlupf vom Besitzer, einem befreundeten Bauern, gegen ein paar Eimer geschälter Kartoffeln ausgeliehen und anschließend zusammen mit den Dorfbewohnern zur nächsten Fährstelle transportiert. Eine Straße nach Tafjord gab es damals noch nicht. „Wenn diese Leute wüßten, was Land art ist, wäre es Land art gewesen“, stellte Marianne Heske anläßlich ihres „Gjerdelöa“-Projektes fest. Denn in ihrem Werk überlagern sich neben Konzept- und Videokunst auch Elemente dieser Kunstform – was bei einer Norwegerin leicht zu Mißverständnissen führt. Erfüllt doch ihr Einsatz von natürlichen Ressourcen als Thema wie als Material sofort das unausrottbare Klischee von tiefen Fjorden und weiten Ebenen, steilen Bergen und stillen Seen, kurzum: das Klischee einer Ursprünglichkeit, welche Künstlern aus Skandinavien an den Trekking-Stiefeln klebt. Von der damit verbundenen Schwermut einmal zu schweigen.

Natürlich weiß Marianne Heske das. Allerdings beschäftigen sie die Sehnsüchte, die in solchen Vorurteilen zum Ausdruck kommen, recht wenig, auch wenn sie ihre eigene Herkunft nicht leugnet. Was sie interessiert, sind Prozesse der Wahrnehmung, des Austauschs (und der Aneignung) zwischen Mensch, Natur und Technik, analoge Vorgänge zwischen Körper und Umwelt, Innen und Außen. Da fügen sich auch schon einmal obskure Theorien in die Gemengelage von High-Tech und Landschaftsmalerei, Wilhelm Reich stellt seine Orgontheorie zur Verfügung oder Franz Joseph Gall seine Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte Phrenologie.

Ob sie Reichs Orgonkisten mit ihren eigenen Bildern verfremdeter Gebirgslandschaft auskleidet oder auf dem Schädel einer bronzenen Puppenbüste – nach der Gallschen Einteilung – die Prinzipien des Geistigen lokalisiert, ob sie eine Stein- und Eislawine als Wandgemälde simuliert oder Infrarotwärme von ihren lichtüberfluteten Bildinstallationen abstrahlen läßt, immer gewinnen ihre Arbeiten dabei den Charakter von Versuchsreihen.

So hatte Marianne Heske im Eingangsbereich zur Pariser Installation zwei Monitore aufgestellt. Auf dem einen sahen die Besucher sich selbst die Hütte umwandern, auf dem anderen dieselbe in ihrer ursprünglichen Umgebung. Die Ansicht vom globalen Dorf kehrt sich damit um, das Objekt wird zum Relikt einer unerreichbaren Gegenwart, Fetisch einer Sehnsucht und zugleich ein Ort, welcher den Übergang zwischen Natur und Kultur nur mehr repräsentiert – „rites de passages“ als mediale Übung vor dem Hexenhäuschen.

„Conceptual national romanticism“ hat die Künstlerin einmal ihr Werk bezeichnet, und diese eher ironisch gemeinte Formulierung trifft ebensosehr auf ihre Bilder zu. Was sie dabei mit ihrem Landsmann J.C. Dahl oder dessen Freund Caspar David Friedrich verbindet, ist vor allem das Sujet, wenn auch sehr viel weiter gefaßt. Betreibt sie doch die Landschaftsmalerei gewissermaßen in deren einzig noch legitimer, weil zeitgemäßer Form: Ansichten der Gebirgs- und Fjord-Landschaften werden mit der Videokamera aufgenommen, dann erst beginnt ihre eigentliche Arbeit. Die Natur wird zum Material, das Gebirgspanorama zum Basislager für eine Besichtigungstour ganz anderer Art.

Per Computer manipuliert, werden die teils grellfarbigen Kontraste, teils matten Schattierungen der hochaufgelösten Bilder auf verschiedene Trägermaterialien überführt. Neben traditioneller Leinwand bevorzugt Heske neuerdings vor allem sandgestrahlte Metalloberflächen, deren haptische Wirkung das photographische Raster unterstützt und durch die körnige Struktur aufrauht. „Mountains of the Mind“ hieß eine Serie solcher technifizierter Abstraktionen eines romantischen Echos. Nur üben wir unseren meditativen Umgang mit dem grünen Erlebnisraum lieber im Survival-Training, statt daß „in Natur und Gemüt die verwandten Regungen sich hervorrufen“, wie Carl Gustav Carus vor mehr als 150 Jahren in seinen berühmten Briefen über die Landschaftsmalerei schrieb. Marianne Heskes Werk fungiert als Schnittstelle zwischen einer solchen Maltradition und einer technifizierten Wahrnehmung der Natur.

Welch große Rolle die sinnliche Erfahrbarkeit in vielen Arbeiten Marianne Heskes spielt, läßt sich derzeit auf der „Winterland“-Ausstellung in München nachvollziehen, wo ihre beiden „Ice Towers“ zu sehen sind – zwei schmale, hohe und begehbare Häuschen. Das eine ist außen mit dunklem Holz verkleidet, während im Inneren Kühlaggregate die Wände mit einer weißen Eisfläche überziehen. Beim anderen verhält es sich genau umgekehrt: außen das Eis, innen das warme, bergende Holz. Die Konzeption dieser Arbeit folgt der Struktur eines binären Codes von Innen/Außen, Kalt/Warm, Natur/Kultur, Starre/Energie. Trotz ihrer Strenge geht eine Poesie von Heskes Installationen aus, wie sie in ihrer Kargheit und Konzentration sonst nur von Wolfgang Laib erreicht wird. Was bei Laib jedoch völlig fehlt – die Integration modernster Technik in den Umgang mit natürlichen Ressourcen – wird bei Heske zum verbindenden Element. Nicht als Synthese, sondern eher in Form kalt-warmer Wechselprozesse. Mit der Kunst als deren Thermostat.

Marianne Heskes „Ice Towers“ auf der auch sonst interessanten Ausstellung „Winterland. Norwegische Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“. Bis 16.1.94 in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München. Katalog 42 DM.

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