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„Özgür Gündem“ verboten

■ Polizei in Redaktion: 107 Festnahmen

Berlin/Istanbul (taz/AFP) – Die Zeitung auf unbestimmte Zeit verboten, die MitarbeiterInnen inhaftiert. Mit dieser Bilanz endete am Freitag eine Polizeiaktion gegen die prokurdische Tageszeitung Özgür Gündem. Gleichzeitig waren die Istanbuler Zentralredaktion sowie zahlreiche Außenstellen des Blattes in Türkisch-Kurdistan durchsucht worden. Am Samstag präsentierte das Staatssicherheitsgericht nachträglich die Begründung, die Zeitung habe der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nahegestanden und es bestehe der Verdacht, daß Zeitungsmitarbeiter in PKK-Lagern ausgebildet worden seien. Zwei Waffen, Gasmasken sowie Dokumente der PKK, die angeblich bei der Durchsuchung beschlagnahmt wurden, sollten diese Vorwürfe belegen.

Özgür Gündem (Freie Tagesordnung) war den türkischen Autoritäten schon lange ein Ärgernis. Im Nationalen Sicherheitsrat, dem militärischen Spitzengremium, dem auch Staatspräsident und Kabinett angehören, war immer wieder über Möglichkeiten, das „Terroristenblatt“ zu verbieten, diskutiert worden. Regelmäßig und als einzige türkische Zeitung berichtete Özgür Gündem aus kurdischer Sicht über den schmutzigen Krieg in Türkisch-Kurdistan. In krassem Kontrast zu der Anti- PKK-Kampagne der staatstragenden Medien veröffentlichte das Blatt Bilder und Berichte aus Sicht der kurdischen Zivilbevölkerung und der kurdischen bewaffneten Kämpfer.

Für diese Gegenöffentlichkeit zahlten die MitarbeiterInnen des erst vor zwei Jahren gegründeten Blattes einen hohen Preis: In den letzten 16 Monaten wurden neun Journalisten und elf weitere Mitarbeiter von Özgür Gündem, darunter auch Zeitungsverkäufer, ermordet. Ständig schwebte das Damokles-Schwert von Festnahme und Gefängnis über den Özgür Gündem-Leuten. Bis zum vergangenen Freitag waren 100 Journalisten festgenommen – oft auch gefoltert – worden. Herausgeber Yasar Kaya, war erst zwei Tage vor der Polizeiaktion aus der Haft in Ankara entlassen worden. 200 Ausgaben des Blattes wurden per Gerichtsbeschluß verboten und einkassiert.

Am Freitag fühlten sich die türkischen Behörden offenbar stark genug, um den Schlag gegen die Zeitung durchzuführen. Was sie in der Redaktion im Istanbuler Stadtteil Kadirga jedoch fanden, kann nur schwerlich als Belege für „terroristische Tätigkeiten“ herhalten.

Ein Sprecher der Kölner Vertretung von Özgür Gündem erklärte gestern, die Waffen gehörten den Wachen, die weitere Morde verhindern sollten und in PKK-Lagern seien die Journalisten des Blattes lediglich zu Recherchezwecken gewesen.

Der Präsident des türkischen Presserates, Oktay Eksi, forderte gestern die Sicherheitsbehörden zu einer schnellen Aufklärung über die Polizeiaktion auf. Kollegen aus dem Ausland waren deutlicher als Eksi: Sie verurteilten den „Willkürangriff“. Die Hilfsorganisation „Medico International“ verlangte gestern die sofortige Freilassung aller Verhafteten und die Aufhebung der Restriktionen gegen das Blatt. Dorothea Hahn

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