: Alle hatten einen Stich
Marathonmann Petr Korda überdauerte auch Michael Stich und gewann den Grand Slam Cup ■ Aus München Matti Lieske
Fett schwimmt bekanntlich oben, und lange Zeit sah es im Finale des Grand Slam Cups so aus, als würde das auch für Leute gelten, die ein besonders fettes Jahr hinter sich haben. Doch Michael Stich hatte die Rechnung ohne Petr Kordas Vater gemacht. „Gib niemals auf“, hatte der seinem hoffnungsvollen Sprößling stets eingebleut, „sei bis zum Schluß ein guter Kämpfer.“ Und da es sich bei Petr Korda um einen gehorsamen Sohn handelt, folgt dieser getreulich der väterlichen Maxime.
Wie schon im viereinhalbstündigen, krampfgeschüttelten Halbfinale gegen Pete Sampras ließ er sich durch kein Mißgeschick verdrießen, und selbst der geheimnisvolle Pakt, den Stich mit der Netzkante geschlossen hatte, trieb den Tschechen nicht in die Resignation. Emsig rackerte er weiter, hetzte den Bällen nach, prügelte sie wie ein Berserker, und am Ende konnte kein Netzroller den Weltranglistenzweiten aus Elmshorn mehr retten: mit 2:6, 6:4, 7:6, 2:6, 11:9 holte sich der 25jährige Prager den Grand Slam Cup 1993.
Schon am Morgen sei er sehr optimistisch gewesen, erzählte Korda, denn er habe sich beim Aufwachen zwar nicht gerade großartig, aber doch längst nicht so schlecht gefühlt, wie er es nach dem harten Sampras-Match erwartet hätte. Michael Stich, tags zuvor gegen Stefan Edberg selbst fünf Sätze auf dem Platz, war davon kaum überrascht. „Ich habe nicht erwartet, daß er so kaputt ist, wie alle glaubten.“ Es komme öfters vor, daß man nach einem brutalen Match gleich am nächsten Tag wieder spielen müsse. Im übrigen sei Korda ein begnadeter Schauspieler. „Er läßt dich glauben, daß er müde ist, und dann rennt er jedem Ball hinterher.“ Und plaziert ihn ins äußerste Eck. Vor allem die phänomenale Rückhand des hageren Tschechen ließ Stich des öfteren wie einen am Netz vergessenen Sandsack aussehen. 32mal wurde der „derzeit heißeste Spieler“ (Korda) vor den Augen des derzeit coolsten, Boris Becker, passiert.
Petr Korda versteht es wie kaum ein anderer Spieler, seine Gegner auf subtilste Weise zu frustrieren. Jede winzige Nachlässigkeit rächt er mit eisernem Arm, und sowohl bei Sampras als auch bei Stich konnte man förmlich sehen, wie es nach verunglückten Aktionen hinter der Stirn zu arbeiten und zu nagen begann. Warum habe ich den Volley nicht einen halben Meter weiter nach rechts gespielt, warum den Angriffsball nicht weiter ins Eck? Beim nächsten Mal versuchten sie es, prompt landete die Kugel im Aus, und wieder krachte ein unschuldiges Exemplar aus Stichs Schlägerpark auf den Hallenboden, so daß Coach Niki Pilic im fünften Satz für Nachschub sorgen mußte.
Mit versteinerter Miene saß Stich nach dem Match auf seiner Bank, erst nach einer Weile wich die Erbitterung über die Niederlage der Genugtuung darüber, daß es trotz des verunglückten Abschlusses ein überaus erfolgreiches Jahr gewesen war. ATP-Weltmeisterschaft, Davis Cup, fünf Turniersiege und, das Wichtigste, eine gravierende Image-Verbesserung: die Wandlung vom Eisblock mit Beamtenseele zum schmachtenden Romeo, der nach seinen Triumphen in Tränen ausbricht und vor einem Millionenpublikum Liebeserklärungen an seine Ehefrau ins Mikrofon haucht. Da fielen auch die paar verharmlosenden Äußerungen über den Rechtsradikalismus nicht sonderlich ins Gewicht, und selbst die Niederlage gegen Boris Becker in Wimbledon konnte den Sprung auf die vorderen Plätze der Popularitätsskala nicht entscheidend bremsen. Gut und Böse ist im deutschen Tennissport eindeutig durcheinandergeraten.
Petr Korda dagegen zeigte wieder einmal eindrucksvoll, daß der Grand Slam Cup vor allem das Forum der Erniedrigten und Beleidigten ist. Hier können sich jene Spieler, die ein mageres Jahr hinter sich haben, aber bei einem Grand- Slam-Turnier relativ erfolgreich waren, nicht nur finanziell schadlos halten, sondern gegen die Topstars, die die Veranstaltung lediglich als „aktive Erholung“ (Stich) betrachten und, wie Pete Sampras, direkt vom Golfspielen oder aus dem Urlaub anreisen, neues Selbstbewußtsein tanken. Selbst ein Korda in Hochform kann nicht einmal davon träumen, bei einem regulären Grand-Slam-Turnier nacheinander die Nummer eins und die Nummer zwei der Weltrangliste zu besiegen. In München ist so etwas ohne weiteres möglich und kann, wie der Fall des Vorjahressiegers Michael Stich zeigt, in der folgenden Saison durchaus Früchte tragen. Petr Korda jedenfalls hofft inständig, 1994 in die Fußstapfen seines unterlegenen Finalgegners treten zu können. Fett schwimmt oben.
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