Antidumping – oder das Recht des Stärkeren

■ USA und Europäische Union definieren den „fairen Markt“ nach ihrem Gusto

Brüssel (taz) – Bei den handelspolitischen Instrumenten, von denen im Zusammenhang mit den Gatt-Gesprächen jetzt dauernd die Rede ist, geht es im wesentlichen um schärfere Antidumpingmaßnahmen. Frankreich und einige südeuropäische Länder wollen, daß die Europäische Union sich eine automatische Antidumping- Falle zulegt, um unfaire Handelspartner zur Raison zu bringen.

Als Vorbild wie als Rechtfertigung gilt die Sektion 301 des Trade Act der USA, der die Regierung in Washington regelrecht verpflichtet, hohe Strafzölle gegen andere Länder zu verhängen, wenn sie als Dumping-Übeltäter entlarvt werden. Ein Problem ist dabei, daß auf den wenigsten Produkten draufsteht, daß der Preis gedumpt ist, und daß der Vorwurf gerne vorgeschoben wird, um sich die Konkurrenz vom Hals zu halten.

Nach den Regeln des Welthandelsabkommens Gatt macht sich des Dumpings schuldig, wer Waren in einem anderen Land unter ihrem normalen Wert auf den Markt bringt. Als „normal“ gilt dabei entweder der Preis, den der Hersteller für dasselbe Produkt im eigenen Land verlangt, oder daß das Produkt mindestens kostendeckend verkauft wird. Das heißt, wenn der Audi 80 in Amerika um vieles billiger ist als in Deutschland, dann ist das Dumping und führt unweigerlich zu Strafzöllen.

Mit freiem Markt haben die Antidumping-Regeln allerdings wenig zu tun. Betriebswirtschaftlich kann es durchaus sinnvoll und kostendeckend sein, auf Teilmärkten mit niedrigeren Preisen anzutreten. Eine Wettbewerbsverzerrung wird das Ganze erst, wenn die niedrigeren Preise durch staatliche Hilfen zustande kommen, durch Subventionen für Boeings oder Airbusse etwa, oder durch Exporterstattungen für Schweineschnitzel und Rübenzucker.

Weder die Europäer noch die Amerikaner sind frei von Dumping-Sünden. Wenn Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen, dann sind die Industrieländer die ersten, die ihren Unternehmen helfen, billiger zu exportieren. Seit einiger Zeit wird deshalb in Außenhandelskreisen auch kaum noch vom freien, sondern nur noch vom fairen Handel gesprochen. Was unfair ist, bestimmt zur Zeit vor allem die amerikanische Regierung.

Mit der Kritik an der Section 301 steht die französische Regierung nicht allein. Sämtliche europäischen Staaten und viele Länder der Dritten Welt fordern von den USA die Abschaffung. Doch Frankreich will mehr. Die EU soll sich ein ähnliches Instrument zulegen, das nicht nur gegen die USA, sondern auch gegen andere Länder anzuwenden ist.

Nicht, daß die EU bisher keine Dumping-Kontrolle hätte. Die Europäische Kommission untersucht jährlich rund 80 Dumping-Vorwürfe. Bei rund der Hälfte der Fälle werden Strafzölle verhängt. Vor allem bei südostasiatischen Firmen erhärtet sich häufig der Verdacht, daß mit kurzfristigen Billigangeboten die Konkurrenz in die Pleite getrieben werden soll. Aber die Untersuchung ist überwiegend technisch, die Sanktionen richten sich gegen einzelne Produkte und müssen von den Mitgliedsländern mit Mehrheit genehmigt werden.

Was die Franzosen im Augenblick durchsetzen wollen sind automatische Santionen gegen Länder, die im Dumping-Verdacht stehen. Dadurch würden zudem die Mehrheitsverhältnisse umgedreht, weil nicht für die Sanktionen, sondern für die Aufhebung der Sanktionen ein Ministerratsbeschluß nötig wäre. Großbritannien, Dänemark, Deutschland und Holland fürchten, daß diese Mehrheiten nur unter großen Schwierigkeiten zu haben wären.

In einem zunehmend protektionistischen Klima in der Europäischen Union könnte eine solche Antidumping-Regel die Burgmauer werden für die Festung Europa. Um dem zweifellos unfairen US-Gesetz Paroli zu bieten, reichten bisher auch die Gegenmaßnahmen, die von Fall zu Fall beschlossen wurden. Das jetzt geplante Antidumping-Gesetz hat nur einen Sinn, wenn es auch gegen andere Länder eingesetzt werden soll – gegen Länder, die es sich wirtschaftlich nicht leisten können, gegen die mächtige Europäische Union einen Handelskrieg zu riskieren. Der Stärkere hat recht: Schon heute fallen sämtliche Agrarexporte der EU in die Dritte Welt unter die Dumping-Definition des Welthandelsabkommens Gatt. Alois Berger