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„Panik ist nicht angebracht“

■ Interview mit Martin Becker* (27), Mitarbeiter des „Antifaschistischen Infoblattes“ in Berlin

Das Berliner „Antifaschistische Infoblatt“ betreibt seit Jahren Antifa-Recherche und war wesentlich an dem Buch „Drahtzieher im braunen Netz“ beteiligt. Auf der „Abschußliste“ der Neonazis in „Der Einblick“ ist es als eine der „wichtigsten Publikationen der Zecken“ aufgeführt.

taz: Seit Ende November kursiert „Der Einblick“ in rechtsextremen Kreisen. Stellt die über 250 Namen umfassende Liste etwas Neues dar?

Martin Becker: Im wesentlichen ist die Liste eine Zusammenstellung bereits erschienener Publikationen, beispielsweise aus dem „Index“ von Christian Worch. Die jetzt veröffentlichte Liste entspricht bei weitem nicht dem breiten Erkenntnisstand, der dort über die linke oder liberale Öffentlichkeit besteht.

Was wollen die Neonazis mit den Listen erreichen?

Antifaschistinnen, Antirassisten oder Menschenrechts-Aktivistinnen sollen eingeschüchtert werden. Die Anti-Antifa dient aber auch dazu, innerhalb der rechtsextremen Szene breitere Bündnisse zu schließen. Beabsichtigt ist, eine breite Gewaltwelle unter anderem gegen links auszulösen, ähnlich der gegen ausländische Menschen. Ein Beispiel: Vor zwei Wochen terrorisierten etwa 150 Nazis aus Mecklenburg, Bochum und Berlin die Rostocker Innenstadt. Sie gingen gut organisiert vor, zerstörten ein Alternativ-Café und versuchten, das Jugendzentrum zu stürmen.

Hinzu kommt die propagandistische Ebene. Nachdem sich das Spektrum in der Asylpolitik durchgesetzt hat, schießen Rechte sich nun auf die innere Opposition ein. Schon im November letzten Jahres schrieb die faschistische Zeitschrift „Nation & Europa“: „Wer sich in Wort und Tat zur inländerfeindlichen Ausländerlobby bekennt, muß sich im Klaren darüber sein, eines Tages dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.“ Benannt werden dann Parlamentarier, Parteipolitiker, Kirchenleute, Gewerkschafter, Unternehmer, Journalisten und Lehrer.

Wesentlich brisanter als die Listen sind aber die Aktivitäten, die jahrelang im Untergrund stattgefunden haben. Neonazi-Kaderorganisationen wie die „Nationalistische Front“ sammeln schon lange Adressen in sogenannten Feindlisten. Darauf sind Politiker, Lehrer, Beamte und Polizisten als Zielgruppe terroristischer Aktionen zu finden ...

... als Adressaten von Briefbomben?

Wir sehen die Briefbomben- Aktionen in Zusammenhang mit der Ankündigung von Nazi- Rechtsanwalt Jürgen Rieger aus Hamburg. Der hatte eine rechte RAF für den Fall prognostiziert, daß die Verbote neonazistischer Gruppen bestehen bleiben. Rieger hatte deutlich gemacht, daß dann nicht die Großen dran sind, nicht der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sondern „Reporter, Richter, Polizisten“. Das zielt also nicht nur auf die aktive Antifa allein ab, sondern auf alle Menschen, die eine humanistische Grundeinstellung haben und Rassismus ablehnen.

Warum stürzen sich Politik, Justiz und Medien gerade jetzt auf die Anti-Antifa, wo sie doch schon mehrere Jahre existiert?

Das hängt wohl mit dem Wahlkampf zusammen. Man will sich gegen rechts profilieren. Bislang wurden Strafanzeigen immer eingestellt und die Veröffentlichungen der Neonazis verharmlost. Die Anti-Antifa wurde immer als eine Gegenreaktion auf die Antifa dargestellt. Doch Gewalt gegen links und die Bekämpfung des innenpolitischen Feindes waren schon immer integraler Bestandteil faschistischer Strategien. Dabei geht es auch um die Kampagne zur Inneren Sicherheit, um die Forderungen nach mehr Polizei und härteren Gesetzen. Wenn die Bundesregierung dazu die Neonazis gebrauchen kann, dann benutzt sie auch die. Und wenn sie das Rechts- links-Szenario dazu benutzen kann, wird sie auch das dankbar tun.

Euer „Infoblatt“ steht auch auf der Liste, ihr seid potentielle Opfer. Ist Panik angesagt?

Panik ist überhaupt nicht angebracht. Panik ist das, was diese Liste auslösen soll. Man muß natürlich seine Gegend genau beobachten, sehr vorsichtig sein beim Öffnen der Post. Man sollte ständig eine Kamera mit Film im Haus haben und Verdächtiges fotografieren. Wenn Leute konkret bedroht sind, sollte man sie nicht alleine lassen und Telefonketten aufbauen. Man muß einfach zusammenstehen und sich gegenseitig schützen, ohne die Polizei miteinzubeziehen. Wenn man die Polizei als Freund und Helfer ruft, kann man schnell vom Regen in die Traufe kommen, und die Informationen landen eventuell bei den Nazis. Die Befürchtung ist durchaus reell. Vieles deutet darauf hin, daß die Polizei im Falle der Tötung des Funktionärs der „Deutschen Liga“ in Berlin die Namen von Verdächtigen einfach an die rechtsextreme Partei weitergegeben hat.

Heißt das nicht, eure Kräfte werden in Zukunft durch Selbstschutzmaßnahmen weitgehend gebunden?

Nein, wir lassen uns nicht einschüchtern. Wir werden weiterhin versuchen, die Drahtzieher dieser Anti-Antifa-Kampagne ausfindig zu machen und ihnen durch öffentlichen Druck Schwierigkeiten zu bereiten. Ihre Aktivitäten müssen gestoppt werden.

Interview: Thomas Köller

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