„Auf daß die Männer diesen Staat gut führen“

■ So richtig freuen konnten sich in der Nacht nach der Wahl neben Kommunisten und Rechtsextremen die wertkonservativen „Frauen Rußlands“, die zehn Prozent erreichten

Es hätte der Beginn einer neuen politischen Zeitrechnung werden sollen. Eine Minute vor Mitternacht hob Fernsehmoderatorin Tamara ihr Glas und forderte die Zuschauer auf, es ihr gleich zu tun. Am 12. Dezember hatten die Bürger und Bürgerinnen der Russischen Föderation ihre Wahl getroffen, am 13. Dezember würden sie in einem anderen – demokratischeren – Staat aufwachen. Aus dem ganzen Land trafen Glückwunschtelegramme ein, viel Glück für Rußland, viel Weisheit, eine große Zukunft. Hoffnung und Stolz aus Workuta und Bryansk.

Die Neujahrsstimmung im Kongreßpalast des Moskauer Kreml, von wo das GUS-weite Fernsehen seine Wahlsendung ausstrahlte und die oberen tausend der russischen Gesellschaft sich selbst und ihre Politik feiern wollten, war jedoch schon eine halbe Stunde vor Mitternacht deutlich abgekühlt. Die ersten Ergebnisse aus dem Fernen Osten Rußlands waren bekannt geworden, und an ein neues Rußland wollte da keiner mehr glauben. Mit einer starken nationalistischen und einer nur um wenig schwächeren Kommunistischen Partei würde die Staatsduma den Machtkampf des Obersten Sowjets fortsetzen. Und so wurden die Neujahrsansprachen zu Kondolenzen, zu Variationen über ein ewig junges Thema: „Sind wir Russen zur Demokratie fähig?“ Mit versteinerten Gesichtern saßen die Politiker der „Wahl Rußlands“ da, sie hofften auf die Ergebnisse aus Moskau und St. Petersburg.

So richtig freuen konnten sich in dieser Nacht eigentlich nur die Vertreter von drei Wahlbündnissen. Wladimir Schirinowski, den die Moderatoren des Fernsehens ebenso mieden wie KP-Chef Genadij Sjuganow. Und die „Frauen Rußlands“, die ihr unerwartet hohes Wahlergebnis – in einigen Regionen hatten sie über 10 Prozent erreicht – wohl selbst am meisten überraschte. Schließlich hatten die Meinungsumfragen sie stets an der Fünfprozenthürde gesehen.

Im Unterschied zu Schirinowski und Sjuganow war die nahezu vollzählig anwesende Führungsriege der Frauenvereinigung dann auch beliebter Interviewpartner. Die Gläser wurden erhoben auf den Wahlerfolg der „Frauen Rußlands“, und gemeint waren damit tatsächlich alle Frauen des Landes. Daß das erst vor kurzem geschmiedete Wahlbündnis von einer ganz speziellen Riege von Frauen geführt wurde, spielte da keine Rolle. Über eine frühere Mitgliedschaft im Zentralkomitee der KPdSU wurde großzügig hinweggeblickt. Ebenso wie über eine Tätigkeit im Frauenverband der UdSSR. Frauen, die Mütter allen voran, haben in der Sowjetunion schließlich stets Großartiges geleistet. Daß die Frauen oft die genauesten Hüter der bürokratischen Ordnung waren, wen kümmert das heute.

Feiern konnten auch die Männer. Denn feministische Ziele verfolgen die „Frauen Rußlands“ nicht. Bei ihren Fernsehspots thematisierten sie vor allem die Probleme der Familie, der Mutter. Bezeugten ihre Liebe zur „Heimat Rußland“. Einen ihrer Trinksprüche brachten sie aus auf die Weisheit der Männer. „Auf daß sie diesen Staat gut führen und die Kinder in eine neue Zukunft führen.“

Unabhängige Frauen hatten sich dem Wahlbündnis nur widerwillig angeschlossen. Alla Jaroschinskaja, innenpolitische Beraterin von Präsident Jelzin, will mit ihren ehemaligen politischen Gegnern nichts zu tun haben. Sie setzt auf den Aufbau einer neuen Frauenorganisation ohne die alten Kader. Andere Frauen akzeptierten das Bündnis, da dadurch die Frauenpräsenz in der Staatsduma erhöht werden könne. Denn Frauen spielen im politischen Leben der Parteien keine Rolle, auf den Kandidatenlisten fehlen sie fast ganz.

Die „Frauen Rußlands“ waren in den wenigen Wochen des Wahlkampfs von politischen Beobachtern stets als „zentristisch“ eingeschätzt worden. Den Reformen nicht abgeneigt, aber bedacht auf die Erhaltung der „sozialen Errungenschaften“ der vergangenen Ära. Im neuen Parlament wird es jedoch keine Mitte geben. Auch die Frauenvereinigung muß sich daher entscheiden: gemeinsam mit den Kommunisten, Schirinowski und der Agrarpartei gegen oder für Jelzin und die Regierung. Sabine Herre, Moskau