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Interview„Ich bin der einzige Überlebende meiner Familie“

■ Der Vorsitzende des Bremer Sinti-Vereins, Hanstein, hat zwei Jahre im KZ überlebt JahreKZüberlebtdesHansteinSintiVereinHanstein,hatzweiJahreimKZKZVernicht ungslager überlebt

1943 wurde der heutige Vorsitzende des Bremer Sinti-Vereins, Ewald Hanstein, von seiner Arbeit in einem Rüstungsbetrieb in Berlin weggeholt. Der Vater war schon weg, ermordet.Ewald Hanstein folgte seinen sechs Geschwistern und seiner Mutter nach Auschwitz.

Eine Flucht aus Deutschland war für ihn unvorstellbar gewesen. Heute abend, 20 Uhr berichtet er auf der Gedenkveranstaltung im Rathaus über sein Leben: „Wer hat denn das vorher gedacht, daß wir ins KZ kommen! Gleich an der Rampe wurde sortiert, Frauen, Kinder links. Arbeitsfähige - rechts raustreten. Alle anderen gingen gleich ins Krematorium. Ich war damals 18 Jahre als, ich war arbeitsfähig.

Im Vernichtungslager bei Buchenwald, Dora-Mittelbau, mußten wir unter Tage Stollen bauen. Eine Schüssel Wassersuppe, 150 Gramm Brot, ein Stück Margarine, Marmelade. Ich habe mit dem Preßlufthammer Sprengöffnungen gebohrt - 12 Stunden Nachtschicht. Die Wirbelsäure ist davon kaputt, heute noch.

Im März, April 1945 wurden die Häftlinge zusammengetrieben, unser Kommando waren 1.500 Mann. Die wollten uns nach Magdeburg bringen auf ein Schiff - und wahrscheinlich versenken.

Wer auf dem Marsch müde wurde und nicht mehr laufen wollte - erschosssen. Sie kennen die Futtertröge für Kühe am Wegesrand. Da sind Leute hingerannt, um etwas zu essen zu suchen. Sie wurden erschossen.

In einer Nacht dieses „Todesmarsches“ mußten wir in einer Kiesgrube Rast machen. Ein paar Freunde und ich haben etwas geahnt und uns eingegraben. Wenn wir das nicht getan hätten, säße ich heute nicht hier. In der Dunkelheit hat die SS mit Maschinenpistolen in die Menge gehalten. Die wußten ja nicht wohin mit den Menschen. Am anderen Tag haben sie gesagt, es hätte Fliegeralarm gegeben.

An einem Tag wurden die Übriggebliebenen in eine Scheune eingesperrt - die SS-Leute konnten nicht mehr weiter. Alles war ruhig. Wir dachten, die wollen die Scheune anstecken und haben von innen die Tür aufgebrochen - da kamen die amerikanischen Panzer. Das war für uns die Befreiung. Ich hatte noch 80 Pfund gewogen. Ich bin der einzige Überlebende aus meiner Familie.“

In der DDR konnte Hanstein seine Schlosserlehre machen, aber er bekam keine Entschädigung. Wegen der Diskriminierungen dort siedelte er 1954 nach Bremen über - und kämpft heute noch um die offizielle Anerkennung eines „Minderheitenschutzes“ für die Sinti.

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