: „Özgür Gündem“ macht weiter
■ Prokurdische Zeitung kehrt zurück an die Kioske / Ausgabe mit Schriftstellern und befreundeten Journalisten / 46 MitarbeiterInnen immer noch in Haft / Der Vorwurf: Zusammenarbeit mit der PKK
Berlin (taz) — „Wir machen weiter.“ Mit diesem trotzigen Aufmachertitel kehrte Özgür Gündem am Dienstag an die türkischen Kioske zurück. Drei Tage lang hatte das prokurdische Blatt geschwiegen, seine MitarbeiterInnen saßen in Polizeihaft, und sein Archiv war beschlagnahmt. Am Montag kehrten die ersten Özgür-Gündem- MitarbeiterInnen an ihre Arbeitsplätze im Istanbuler Stadtteil Kadirga zurück. Zusammen mit Schriftstellern und befreundeten Journalisten aus anderen Medien produzierten sie die erste Ausgabe nach der Polizeiaktion. Obwohl auch gestern noch 46 MitarbeiterInnen, darunter sowohl die Chefredaktion als auch ein großer Teil der JournalistInnen in den kurdischen Provinzen der Türkei, in Haft waren, soll das Blatt jetzt wieder täglich erscheinen.
Die türkischen Behörden, denen die einzige prokurdische Tageszeitung schon längst ein Dorn im Auge war, hatten Ende vergangener Woche zugeschlagen. Sämtliche kurdischen Außenredaktionen und die Istanbuler Zentrale waren von der Polizei ausgeräumt und das anwesende Personal komplett festgenommen worden. Allein in Istanbul transportierte die Polizei 107 Personen ab. Der kollektive Vorwurf an alle lautete: „Zusammenarbeit mit der Arbeiterpartei Kurdistans, PKK“. Als Beleg für die Behauptung, es gebe Guerilleros in der Redaktion, präsentierten die Behörden nach der Durchsuchung von Istanbul zwei Pistolen und 25 Gasmasken.
Aus der Zeitung verlautete, die Waffen gehörten dem Wachpersonal von Özgür Gündem. Schließlich sei das Unternehmen verpflichtet, seine Mitarbeiter vor weiteren Anschlägen zu schützen. In der nur zweijährigen Geschichte von Özgür Gündem sind bereits sechs Reporter und zehn andere Mitarbeiter – die meisten von ihnen Handverkäufer in den kurdischen Provinzen – ermordet worden. Von staatlicher Seite hat das Blatt keinen Schutz zu erwarten. Im Gegenteil: Es besteht der nie widerlegte Verdacht, daß die Killerkommandos von höchster Stelle protegiert werden. Neben der Mordserie gegen seine Mitarbeiter hat Özgür Gündem von Beginn an mit allen möglichen behördlichen Schikanen zu tun. Dazu gehören ständige Verhaftungen, Verbote zahlreicher Ausgaben und Prozesse gegen jeden neuen Chefredakteur. Derzeit sitzen vier von ihnen in Untersuchungshaft. Der vorläufig letzte inhaftierte Chefredakteur ist Erkan Aydin, der sich in seinen lediglich zwei Wochen an der Spitze der Zeitung 16 Verfahren einhandelte, von denen neun zu einem Haftbefehl führten.
Die jüngste Polizeiaktion zielte nach Ansicht von Mitarbeitern auf ein endgültiges Ableben der Zeitung. Dafür spricht unter anderem, daß die neun führenden Redaktionsmitglieder getrennt verhört werden. Ihre freigelassenen Kollegen befürchten, daß dabei versucht werden könnte, mit Foltern „Geständnisse“ zu erpressen.
Das Gros der Redaktion wurde mit einem vorgefertigten Fragenkatalog konfrontiert. „Sie stellten uns allen dieselben Fragen. Sie wollten unsere Geburtsorte erfahren und wissen, wie viele Geschwister wir haben. Dann ging es um das Verhältnis unserer Zeitung zur PKK“, berichtete ein freigelassener Özgür-Gündem-Redakteur der taz. Besonderes Interesse hatten die Verhörer an der Identität Ali Firats, der zweimal wöchentlich eine Kolumne schreibt, die große Nähe zur PKK aufweist.
Özgür Gündem, die täglich rund 20.000 Exemplare verkauft, ist mehr denn je auf Unterstützung angewiesen. Der Romancier Yasar Kemal war am Wochenende der erste Intellektuelle, der seine Mitarbeit anbot. Andere folgten. Auch der Schriftstellerverband PEN und die Menschenrechtsorganisation „Article 19“ haben aufgerufen, die prokurdische Stimme aus Istanbul zu unterstützen. Helmut Oberdiek/Dorothea Hahn
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