: Rhein-Glatzen an der Elbe
■ Fazit einer Bildungsreise: Ausländerbeauftragte mißhandelt
Dresden (taz) – Jetzt könne sie „noch besser verstehen, wie es Ausländern hier ergeht“, bekennt Marita Schieferdecker-Adolph. Am Samstag ist die Ausländerbeauftragte in einem Dresdner Jugendklub von Düsseldorfer Skinheads als „Judensau“ und „Türkenweib“ beschimpft worden. Ein Mädchen der Gruppe drückte ihr eine glühende Zigarette am Hals aus. Weitere Glatzköpfe schütteten ihr Bier ins Gesicht.
Dennoch verzichtete Schieferdecker-Adolph auf eine Strafanzeige, „um Projekte mit rechtsorientierten Jugendlichen nicht zu behindern.“ Eine missionarische Geste, die bei in Dresden lebenden AusländerInnen helles Entsetzen ausgelöst hat. So meinte ein Iraker: „Damit hat sie uns ins Gesicht geschlagen.“ Gegenüber der taz begründete die Politikerin ihre Zurückhaltung damit, daß sich die Zigaretten-Täterin bei ihr „überraschend“ entschuldigt habe.
Staatsanwaltschaft und Sonderkommission Rechtsradikalismus (Soko Rex) leiteten gegen die Skins von Amts wegen Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf gefährliche Körperverletzung ein.
Am Wochenende waren 14 Skinheads aus Düsseldorf zu Gast bei Dresdner Gleichgesinnten. Absender war die Arbeiterwohlfahrt der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt. Die umstrittene Israel-Exkursion rechtsradikaler Dresdner hatte den Leiter der AWO-Jugendhilfe, Jürgen Bianchi, auf die Idee gebracht, etwas Ähnliches auch mal zu versuchen. Den Anfang sollte ein „Meinungsaustausch“ mit den Dresdnern markieren. Marita Schieferdecker- Adolph, die jene Israel-Tour im Oktober organisiert hatte, wußte von dem angeblichen Begehren der Düsseldorfer zunächst nichts. Erst Samstag abend erhielt sie, ganz privat, durch einen der von ihr sozialpädagogisch betreuten Jugendlichen telefonisch eine Einladung in den Jugendklub „Espe“. Die naheliegende Frage, warum er sich nicht schon von Düsseldorf aus offiziell an die Dresdner Ausländerbeauftragte gewandt habe, soll Bianchi ihr gegenüber mit der Meinung beantwortet haben, das Rathaus hätte ihr „den Mund gestopft“ und sie dürfte „nicht mehr mit Rechtsradikalen reden.“ Im Rathaus war nur bekannt, daß die Düsseldorfer AWO eine Reisegruppe schickt, die der Wunsch treibe, einen rechtsorientierten Jugendklub kennenzulernen. „Wir haben in dem städtischen Jugendklub den Tisch mit Kaffe und Kuchen gedeckt“, wundert sich Bildungsdezernent Jürgen Löffler, „aber die Gruppe war nur auf Randale aus.“ Künftig will man derartige Kaffeetafeln „besser vorbereiten“, kündigt Löffler an. Soko Rex und Polizei sollen „im Vorfeld“ schon mal einen Blick auf die Gäste werfen.
Gleich nachdem die Ausländerbeauftragte in der „Espe“ eintraf, wurde sie von den angetrunkenen, rheinländischen Glatzen wegen ihres „nichtdeutschen“ Aussehens massiv beschimpft. Zwär hätten die Dresdner versucht, sie zu schützen, doch das nutzte nichts. Einer der Espe-Stammgäste, der früher mit der Baseballkeule immer in der ersten Reihe gestanden habe, sei als „Waschlappen“ beschimpft worden, weil er sich an dem Exzeß nicht beteiligen wollte.
Im Anschluß machten sich die Düsseldorfer Skin-Jugendlichen auf den Weg in die Dresdner Innenstadt. Im Stadtzentrum beschimpften sie PassantInnen als „linke Zecken“; in einer Gaststätte pöbelten sie, Büchsenbier kippend, die Gäste an. Schließlich randalierten sie in der Jugendherberge, wo sie für ihre „Bildungsreise“ Quartier bezogen hatten. Sie zerdroschen Türen und Fenster, rissen Warmwasserboiler aus der Wand und jagten auch noch ihren Busfahrer in die Flucht. Den beiden Sozialarbeitern, die während der Randale-Tour hilflos neben der Horde hergetrabt waren, blieb nichts weiter übrig, als sich nach Zugverbindungen zu erkundigen. Detlef Krell
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