: In Moskau scheinen alle Koalitionen möglich
■ Entsetzen über Wahlerfolg der russischen Faschisten / Nato will weiter Zusammenarbeit
Moskau (AP/taz) – Überwiegend Konfusion herrschte gestern in Moskau nach der Auszählung des größten Teils der Wählerstimmen. Während Jegor Gaidar die anderen Reformparteien zur Zusammenarbeit aufforderte und selbst eine Kooperation mit den Kommunisten nicht ausschloß, um die faschistische Liberaldemokratische Partei Wladimir Schirinowskis von der Macht fernzuhalten, schloß ein Sprecher Jelzins eine Zusammenarbeit mit dem Wahlsieger Schirinowski nicht kategorisch aus. Nach der Auszählung von über zwei Dritteln der Stimmen ergab sich am Dienstag mittag nach einer Meldung der Nachrichtenagentur ITAR-Tass folgendes Bild:
Liberaldemokratische Partei: 24,58 Prozent
Rußlands Wahl: 15,03 Prozent
Kommunisten: 11,16 Prozent
Frauen Rußlands: 8,72 Prozent
Agrarpartei: 8,02 Prozent
Block Jawlinski-Boldyrew-Lukin: 7,71 Prozent
Partei der Russischen Einheit und Eintracht: 5,76 Prozent
Demokratische Partei Rußlands: 5,64 Prozent.
Der Chef der Kommunistischen Partei, Sjuganow, bekräftigte am Dienstag sein Interesse, mit allen Kräften zusammenzuarbeiten, die sich „für Frieden und Forschritt“ einsetzten. Beobachtern zufolge bietet sich eine Koalition mit der Agrarpartei und den „Frauen Rußlands“ an. Damit wären die Kommunisten künftig nicht nur das Zünglein an der Waage, sondern würden mit ihren Verbündeten auch den größten Block im neuen Parlament stellen. Sjuganow kündigte einen Mißtrauensantrag gegen die Regierung an, um Jelzin zu einem Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik zu zwingen. Auch nach dem Rechtsruck in Rußland wollen die Nato und die Westeuropäische Union (WEU) ihre Politik gegenüber Moskau offiziell nicht einschränken und auch dem Drängen der anderen osteuropäischen Staaten nach Sicherheitsgarantien des Westens nicht nachgeben. „Vom operationellen Standpunkt aus gesehen, sehen wir keine Notwendigkeit, unsere Politik zu verändern“, sagte der stellvertretende Generalsekretär der Nato, der Italiener Amedeo De Franchis.
Schirinowski äußerte sich nach seinem Wahlerfolg gleich in der National- Zeitung des DVU-Chefs Frey. In dem Interview stellte er die Oder-Neiße- Grenze im Sinne der deutschen Rechten in Frage. Er wünsche sich eine gemeinsame russisch-deutsche Grenze, sagte er in dem Interview. Tagesthema Seite 3 und Bericht Seite 8
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