Mit Schleppern über die grüne Grenze

■ Viele Kriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien werden von Schleppern nach Berlin gebracht / Flüchtlingsberatungsstellen fordern „entkriminalisierte Einreise“

Die meisten Flüchtlinge aus Bosnien, Serbien, Mazedonien, Montenegro und dem Kosovo beginnen ihren Deutschlandaufenthalt mit einem Verstoß gegen das Ausländergesetz. Sie kommen nämlich „illegal“ über eine der grünen Grenzen, über Tschechien, Österreich oder Polen. Die Flüchtlingsberatungsstellen des Roten Kreuzes und der Arbeiterwohlfahrt (AWO) schätzen, daß 80 bis 90 Prozent der Neuankömmlinge in Berlin von Rechts wegen gar nicht hier sein dürften. „Deutschland rühmt sich seiner großzügigen Aufnahmepraxis“, sagt Katherina Vogt vom AWO-Beratungsbüro, „duldet aber praktisch nur die Flüchtlinge, die die Energie gehabt haben, die Grenze zu Deutschland illegal zu überschreiten.“

Nur für Kroaten und Slowenen ist es unkompliziert, nach Berlin zu kommen. Ihre Länder stehen, weil die Bundesrepublik sie als Nachfolgestaaten von Jugoslawien offiziell anerkannt hat, auf der „Positiv-Liste“. Konkret heißt dies, daß ihre Bürger kein Einreisevisum für den Grenzübertritt brauchen. Alle anderen, so jedenfalls der legale Weg, bräuchten eine Einladung, einschließlich Kostenübernahmeverpflichtung aus Deutschland. Für Bosnier ist es derzeit so gut wie unmöglich, Touristenvisa zu erhalten. Die nächsten deutschen Auslandsvertretungen, die Visa ausstellen könnten, sind in Zagreb und Belgrad. „Schon alleine der Weg dorthin ist lebensgefährlich“, sagt Katherina Vogt.

Bestätigt werden ihre Angaben von einem Mitarbeiter der Ausländerbehörde. Seit dem Frühjahr, sagt er, gibt es so gut wie keine Kriegsflüchtlinge, die in Berlin mit einem Touristenvisum leben. Die wenigen, die dies haben, bekommen wegen der Kostenübernahmeverpflichtung der Gastgeber allerdings auch keine Sozialhilfe. Denn die staatliche Unterstützung erhalten nur die Hilfesuchenden mit dem Aufenthaltsstatus „Duldung“. Dafür dürfen sie das aufnehmende Bundesland allerdings nicht verlassen.

Nur junge Leute trauen sich alleine über die Grenze

Die meisten der etwa 150 nichtkroatischen Flüchtlinge, die jeden Tag neu nach Berlin kommen, bezahlen Schlepper für günstige Schleichwege über die grüne Grenze. Nur junge Leute ohne Kinder trauen sich, alleine durch die Oder zu waten, sagen Experten. Viele bosnische Flüchtlinge berichten, daß die ortskundigsten Schlepper Serben seien. „Erst zerstören sie unsere Häuser und töten unsere Kinder“, sagte eine bosnische Moslemin zur taz, „und dann kassieren sie uns an der Grenze ab.“ Sie berichtet ebenfalls, daß in Berlin sich Kroaten darauf spezialisiert hätten, bosnische Flüchtlinge als Verwandte auszugeben oder sie mit Autos über die tschechische Grenze zu schmuggeln. Ihr Bruder sei vor sechs Wochen im „Kofferraum“ erwischt worden, der Grenzbeamte habe aber nach Feststellung der Identität „beide Augen zugedrückt“.

Angeblich sei es auch ein „offenes Geheimnis“, daß viele bosnische Flüchtlinge die Schlepperdienste oder gefälschte kroatische Pässe monatelang von ihrer Sozialhilfe abstottern müssen. Weil viele Bundesländer in Deutschland inzwischen dazu übergegangen seien, Flüchtlinge nur mit Naturalhilfe zu unterstützen, sei man gezwungen, ins „Bargeldland“ Berlin zu reisen, sagte ein 24jähriger Bosnier, der über Österreich nach Bayern kam. Die Schlepperdienste seien ein wesentlicher Grund, warum es in Berliner Flüchtlingsheimen so oft zu Spannungen zwischen bosnischen, kroatischen und serbischen Flüchtlingen komme. „Wenn es irgendwie geht, reden wir nicht miteinander“, sagt ein anderer.

Die illegalen Grenzübertritte müßten dringend „entkriminalisiert“ werden, fordert die AWO- Beraterin Katherina Vogt. Nach Paragraph 32a des Ausländergesetzes sei dies auch möglich. Dort steht nämlich, daß das „Bundesinnenministerium im Einvernehmen mit den Ländern“ Gruppen bestimmen könne, denen eine „Aufenthaltsbefugnis“ erteilt wird, also zum Beispiel generell BosnierInnen. Dagegen würden sich aber diejenigen Bundesländer sperren, die bisher nur wenige Flüchtlinge aufgenommen haben.

Bisher verteilt sich das Gros auf Berlin, gefolgt von Bayern, Baden- Württemberg und Nordrhein- Westfalen. Eine Aufenthaltsgenehmigung würde, abgesehen von den entkriminalisierten Grenzüberschreitungen, auch den Vorteil bringen, daß die Flüchtlinge sich nicht alle drei Monate bei der Ausländerbehörde einfinden müßten, um ihre Duldungen zu verlängern. Anita Kugler