: Trümmer-Literatur
■ Initiative "Bosnische Bibliothek"
Als am 26. August 1992 die Bibliothek von Sarajevo von Brandraketen der serbischen Belagerer in Schutt und Asche gelegt wurde, sprach man vom „barbarischsten Attentat auf die europäische Kultur seit dem Zweiten Weltkrieg“. Es wäre recht hilflos, angesichts dieser Barbarei den bekannten alten Antifa-Spruch aufzusagen, denn als man sich hier daran machte, Bücher zu verbrennen, wurden lange schon Menschen verbrannt. Hier wurden nicht nach vorgefertigten Listen die Werke verhaßter ideologischer Gegner dem Feuer übergeben; man räumte schlichtweg den Speicher einer ganzen Kultur ab, ohne sich auch nur die Mühe zu machen, zwischen einem theologischen Traktat, einem Meisterwerk früher Geographie oder einer Abhandlung über Schach zu unterscheiden. Man hatte offenbar kein Interesse daran, aus den Schätzen nach der Eroberung der Stadt Devisen zu erzielen. Ziel war, wie Juan Goytisolo schreibt, „die historische Substanz eines Landes wegzufegen, um dann an ihrer Stelle ein Gebäude aus Lügen, Märchen und Vergessen zu bauen.“ Tabula rasa – niemand soll später etwas von dem kulturellen Reichtum ahnen können, über den das von der Landkarte vertilgte Volk verfügte. Darum mußte nach unzähligen Moscheen auch das zentrale Symbol des verhaßten Sarajevoer Weltbürgertums, die alte Bibliothek der Stadt, verschwinden. (Danach fällt es leichter zu behaupten, der Kampf gegen die bosnischen Muslime sei ein Kampf gegen den islamischen Fundamentalismus in Europa.)
Ein Jahr nach dem Anschlag, im August 1993, hat der Wieser Verlag in Klagenfurt mit zehn anderen Verlagen eine Initiative gegründet, die sich mit Trauer nicht begnügen will. Die „Bosnische Bibliothek“ hat sich zum Ziel gesetzt, die Dokumente zu sammeln, die der Zerstörungswut entgehen. Unter dem Titel verbirgt sich aber auch eine Einrichtung, die Westeuropäer aus jenen finsteren Zeiten kennen, an die man in den letzten Jahren nur allzu oft erinnert wurde: ein Exilverlag. Die „Bosnische Bibliothek“ soll ein literarisches Kommunikationsnetz zwischen den in alle Erdteile vertriebenen Bosniern werden. Im kommenden Jahr sollen bereits acht Bücher herausgegeben werden. Man muß wohl kaum betonen, daß das Unternehmen nicht lange vom bloßen Enthusiasmus des Verlegers Lojze Wieser und seiner Mitstreiter wird leben können. Enorme finanzielle Mittel und Sachspenden sind dringend erforderlich. Wer sich beteiligen will, kann die Initiative durch den Ankauf sogenannter „Bausteine“ zu 2150,- DM unterstützen. (Das österreichische Unterrichtsministerium hat bereits 10 solcher Bausteine gekauft.) Die Anteile sind so kalkuliert, daß pro Baustein etwa 150 bis 200 Bücher verlegt werden können. Die Bücher, zwischen 160 und 200 Seiten pro Band, sollen billig, aber auf hohem Qualitätsniveau produziert werden. Interessenten in westdeutschen Verlagen mögen sich einmal die Kostenaufstellung des Projekts anschauen. Wem die veranschlagten Herausgeber-Honorare nicht das Herz erweichen, der hat wohl keines mehr. jl
Kontakt: Wieser Verlag, z.Hd. Lojze Wieser/Edgar Kreitz, Viktringer Ring 13, A-9020 Klagenfurt, Tel.: 0043463/37036, Fax: 0043463/37635
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