: Austausch von Beutesteinen
■ Das Märkische Museum erhält aus Kiew den verschollenen "Kablow-Fund" von Königs Wusterhausen zurück / Berlin gibt dafür Beutegut an die Ukraine zurück
Für Schatzsucher, Archäologen, Ur- und Frühgeschichtler, Museumsdirektoren und die Senatsverwaltung für Kultur war der gestrige Tag ein ganz besonderer. Ein Tag, der in die Annalen der Wissenschaftsgeschichte eingehen und potentielle Doktoranden auf Trab bringen wird. Denn seit gestern liegen beim Zollamt des Flughafens Tegel drei mittelgroße Kisten, vollgepackt mit wissenschaftlich nicht erforschter Eisenschlacke, Scherben, Steinchen und Steinen sowie Knöchelchen aus dem ersten bis dritten Jahrhundert.
Absender der Fracht war das Archäologische Institut der Akademie der Wissenschaften in Kiew/ Ukraine, und Empfänger ist das Märkische Museum am Köllnischen Park.
Mit den Steinchen aus Kiew erhält jetzt das Museum den sogenannten „Kablow-Fund“ vollständig zurück und kann sich daranmachen zu beweisen, daß es schon tausend Jahre vor der Gründung von Berlin bei Königs Wusterhausen ein reges germanisches Leben, sogar mit römischer Importware, gegeben hat.
Die Kisten haben eine Odyssee hinter sich, und ihre Ankunft in Berlin ist ein Politikum. Denn es ist „Restitutionsgut“, ein winziger Teil der vielen Kulturschätze, die vor dem Krieg in Deutschland lagerten und von der siegreichen Roten Armee beschlagnahmt wurden. Während die deutsch-russischen Rückgabeverhandlungen, zum Beispiel über den Schatz des Priamos, seit einigen Monaten vollständig stocken, gebe es im „Schatten der spektakulären Dinge“, so Kultur-Staatssekretär Winfried Sühlo, immer wieder „Erfolge“ zu verzeichnen. Die heimgekehrten Knöchelchen sind so ein Erfolg.
Bis 1991 galten sie sogar als verschollen. Dank den Forschungen von Klaus Goldmann, Oberkustos beim Museum für Ur- und Frühgeschichte und leidenschaftlicher Schatzsucher, kennt man inzwischen die verwickelte Geschichte. Die Funde stammen aus einer zwischen 1937 und 1942 durchgeführten Grabung bei Kablow südöstlich von Berlin und wurden unausgewertet im Märkischen Museum aufbewahrt. Als die Bombenangriffe auf Berlin immer stärker wurden, packte man sie in 86 Kisten und lagerte sie in ein schlesisches Schloß aus. Dort fand 1944 die sogenannte „Trophäenkommission“ der Roten Armee die Kisten und mit ihnen jede Menge Kunst, die das Amt Rosenberg in Polen gestohlen hatte. Die Trophäenkommission verteilte die beschlagnahmte Kunst über die ganze Sowjetunion und lagerte die frühgermanischen Funde in Riga/ Lettland ein. Dort ruhten sie friedlich bis 1991. Nach vielen „freundschaftlichen“ Verhandlungen, so Winfried Sühlo, gab Lettland im Frühjahr dieses Jahres 83 Kablow- Kisten an Berlin zurück. Die restlichen drei Kisten aber wanderten aus bisher ungeklärten Gründen nach Kiew, wo sie „völlig überflüssig“ waren, so der Frühgeschichtler Dimitri Nuzhnyi aus Kiew gestern.
Denn, welch glücklicher Zufall, auch das Märkische Museum besaß Beutegut aus der Ukraine: eine Reihe von Feldpostpäckchen, angefüllt mit prähistorischen Funden aus Simferopol/Krim. Ein deutscher Soldat, dessen Namen der Staatssekretär nicht verraten wollte, weil dieser sich im Nachkriegsdeutschland als Archäologe einen Namen machte, hatte sie während der Besetzung einkassiert. Über „verschlungene Wege“ sei später die Beutekunst ins Duisburger Museum gelangt und jetzt vom Bundesinnenministerium dem Märkischen Museum als Gegengabe für die Kablower Funde überreicht worden. Jetzt sind alle glücklich. Der Museumsdirektor Heinz Seyer, der die Funde nächstes Jahr den Berlinern präsentieren möchte. Dimitri Nuzhnyi und Alexandre Janević die sich von der Auswertung der deutschen Beutestückchen „unschätzbare Erkenntnisse über die Steinzeit in der Ukraine“ versprechen. Und der Staatssekretär, der die geglückten Übergaben als Präzedenzfall einer „erfreulichen“ Zusammenarbeit feierte. Anita Kugler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen