: Southern Comfort
John Sayles' „Passion Fish“ ist eine kleine aparte Südstaatenballade ■ Von Mariam Niroumand
Probieren Sie's im Selbstversuch, sprechen Sie die Worte „New Orleans“, „Jackson, Mississippi“ oder „Cajun Chicken“ vor sich hin und bemerken Sie, wie sich sogleich ein Bouquet von Bildern einstellt: Die Plantagen, die weißen Herrschaftsvillen, ein Gehenkter am Baum, die Sümpfe in Louisiana, die Masken des Klan, Voodoo-Puppen, Southern Belles, große Jazz-Volksfeste und Walker-Evans-müde Bauern. Was stellt sich hingegen ein, wenn Sie Madison, Wisconsin denken? Eben nicht viel.
John Sayles, Independent-Veteran seit fast zwei Jahrzehnten, weiß, daß der Süden an sich schon locker eine Stunde Plot ersetzt. Mit seiner Ballade von der New Yorker Fernsehschaupielerin Mary- Alice Cohane, die nach einem Unfall querschnittsgelähmt quasi in ihre alte Heimat zurückkriecht, hat Sayles auf den Riesenberg von Nord-Süd-Geschichten noch eins draufgesetzt. Geschickt spielt er mit der eingefleischten Dichotomie, die einem jede Coffee-Shop- Kellnerin umstandslos auftischt: Im Süden, da sind sie großzügig, französisch, galant, faul, hedonistisch-feurig und abergläubisch, im Norden dagegen kalt, arbeitsam, nüchtern, protestantisch, ängstlich und gleichheitlich-demokratisch.
In diese Situation also trifft eine Frau, die noch gestern ein sarkastischer New Yorker Soap-Star war (New York ist natürlich die Inkarnation aller oben genannten Mißlichkeiten). Wir lernen sie in ihrem Krankenhausbett kennen, mühsam mit der Hand durch das Bettgitter nach dem Becher tastend, und wissen längst, was sie sich zu glauben noch lange weigern wird: Sie muß ihr Leben ändern.
Wirbelsäulentraining, genervte Krankengymnastinnen, Einnässen und so weiter — Sayles erspart einem nichts, und trotzdem bleibt der Film die ganze Zeit leicht. May-Alice zieht also zurück in die elterliche Villa am See, wo sie sich erst mal ins düstere Wohnzimmer setzt und einigelt. Sie war auf der Fahrt zum Schönheitssalon aus einem Taxi ausgestiegen und von einem anderen angefahren worden — eine Konstruktion, die natürlich ein bißchen nach Hybris riecht, für die sie nun irgendwie bestraft wird und zu Kreuze kriechen muß. Jedenfalls verschleißt sie also zunächst eine Mietkrankenschwester nach der anderen, bis eine kommt, die sich nicht leisten kann, ihr den Bettel vor die Füße zu werfen. Chantelle, deren Name den Local Heroes natürlich gleich gewissen Eindruck macht, hat eine Crack- Karriere in Chicago hinter sich, die sie das Sorgerecht für ihre kleine Tochter gekostet hat. Jedenfalls muffeln die beiden sich an, daß es eine Lust hat, das Rührei fliegt an die Wand, das Auto verreckt, May- Alices Muskeln regredieren genauso wie ihre Laune, bis es eben nicht mehr geht.
Schön zu sehen dann, wie Schritt für Schritt die Vorhänge aufgehen, die beiden an den See ziehen, wie Chantelle mit dem Herrn Klempner Sugar vorsichtig ein Tänzchen wagt, wie wiederum May-Alice auf ihren alten Schulfreund Rennie trifft, der als Handwerker ins Haus kommt. Sugar ist wirklich Sugar, eine seltene Spezies mit Cowboyhut, zartem Gemüt und ungefähr zwanzig Kindern; er kriegt keinen hoch, weil Chantelle so ängstlich ist, während Rennie mit einer Frau verheiratet ist, die kürzlich gläubig wurde und ihn nun mit Gebeten in den Wahnsinn treibt. Die Bootsfahrt der drei, auf der sie Passion Fish finden, und bei der nächtlichen Rückfahrt von Eulen freundlich angefunkelt werden, sollte durchaus als schönste Bootsfahrt der Filmgeschichte vermerkt werden.
Keine Sorge, es löst sich nicht alles in Wohlgefallen auf. Es kommen böse Erinnerungen in Form von Chantelles kleiner Tochter (süßer Fratz mit Brille) und ihrem gestrengen Baptisten-Vater, von einem gackernden Trupp Fernsehschauspielerinnen, die das ganze Arsenal von Südstaaten-Mythologie produzieren, und einem Redakteur, der May-Alice als Behinderte in die Soap-Opera einbauen will. Gleichwohl: Der Film produziert ein schamloses Glücksgefühl, das sich ein wenig dem zweistimmigen Cajun-Geschrammel und ein wenig dem Southern Comfort verdankt, der hier großzügig ausgeschenkt wird.
„Passion Fish“. Regie, Buch und Schnitt: John Sayles, Kamera: Roger Deakins, Musik: Mason Daring. Mit: Mary McDonnell, Alfre Woodard, David Strathairn. USA 1992, 136 Min.
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