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Der Mann, der noch viel lernen muß

Am kommenden Sonntag will sich Rolf Kutzmutz zum Potsdamer Oberbürgermeister wählen lassen  ■ Ein Porträt von Anja Sprogies

Die Gefahr der Nation trägt schwarze – nicht rote – Socken, eine schottisch karierte Hose sowie schlichte Wintertreter und sagt: „Ich will nicht Bürgermeister der PDS werden, ich will der Oberbürgermeister von Potsdam sein.“ Rolf Kutzmutz spricht leise und schaut den Menschen, die sich um ihn versammelt haben, in die Augen. „Ich bin für die Lösung konkreter Probleme, Potsdam ist schon voller Nostalgie.“

Der Mann entspricht so gar nicht dem Bild vom bösen Kommunisten, das westdeutsche Politiker seit seinem Wahlerfolg am 5. Dezember zeichnen. Kommunismus, das ist für ihn schlicht „Offenheit für Veränderung auf humanistischem Weg“, und „Nostalgie ist schädlich für die Politik“.

Rolf Kutzmutz' adrett frisiertes Haar wird in diesen Tagen von einem knallig roten Regenschirm mit PDS-Emblem trocken gehalten. Der Wahlkampf vor der entscheidenden Stichwahl am kommenden Sonntag läuft auf vollen Touren. Und Rot zieht offenbar in der Landeshauptstadt. Viele bleiben stehen, wenn der Kandidat an den PDS-Ständen auftaucht, und hören zu. Kutzmutz verspricht ein „gläsernes Rathaus“, mehr Bürgernähe. Er will das „Selbstbewußtsein stärken“: „Keiner muß sich vor seiner Vergangenheit verstecken.“

Der Kandidat wird nicht konkreter. Nicht weil er etwas zu verstecken hätte – Kutzmutz wurde bis auf die Haarwurzeln geoutet; er hat nur nicht mehr zu sagen. Der PDS-Mann weiß, wieviel Wohnungen in Potsdam fehlen. Doch wie Fördermittel abgezweigt werden können, darüber will er sich erst informieren. Neue Arbeitsplätze mag er nicht versprechen, die Arbeitslosigkeit liegt mit knapp elf Prozent weit unter dem Landesdurchschnitt. Kutzmutz hat auch keine Ideen, was er sonst noch durchsetzen will. Auf der ersten Fraktionssitzung forderte er die neugewählten PDS-Abgeordneten auf, „zehn Ideen zu sammeln, die wir schnell in die Stadtverordnetenversammlung einbringen können“.

Der 46jährige, der 1967 in die SED eingetreten ist, gibt zu, noch viel lernen zu müssen. Für die Umstehenden scheint das nicht so wichtig zu sein. Sie mögen ihn auch so. „Sie haben unsere Stimme“, versprechen sie in der weihnachtlich geschmückten Brandenburger Straße. Kutzmutz dankt lächelnd. Er ist freundlich zu den Bürgerinnen und Bürgern, der sympathische Nachbar von nebenan, der es den Bonnern so richtig gezeigt hat. Mit 45,3 Prozent der Stimmen hat niemand gerechnet. Nur 3.500 Stimmen fehlten Kutzmutz vor knapp zwei Wochen im ersten Wahlgang zum Sieg.

Das bundesweite Jaulen war laut. Mit Bangen blickt die Potsdamer Anti-Kutzmutz-Koalition aus SPD, CDU, FDP und Bündnis 90/ Die Grünen jetzt auf das Ergebnis der Stichwahl Gramlich gegen Kutzmutz. Der bisherige Oberbürgermeister gegen den PDS-Kreisvorsitzenden und Stadtverordneten; der ehemalige Dozent für marxistische Ökologie an einer Potsdamer Eliteakademie gegen „IM Rudolph“.

Hektisch machen Brandenburgs Sozialdemokraten mit ihrem Zugpferd Manfred Stolpe – alias IM Sekretär – Front gegen den „kommunistischen“ Kandidaten. Die Potsdamer wollen sich nicht mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzen, beschimpfen SPD-Genossen die PDS-Wähler. Investoren würden ausbleiben, sollte Kutzmutz gewinnen, heißt es. Der IM-Spitzel müsse zurücktreten, so der SPD-Vizechef Wolfgang Thierse. – Doch die Menschen auf der Straße sind enttäuscht von ihrem bisherigen SPD-Bürgermeister Gramlich. „Der hatte doch kein Ohr für uns Potsdamer“, beklagt sich eine jüngere Frau. Nichts sei vorangegangen in den vergangenen drei Jahren.

Zudem sind viele sauer darüber, daß die Potsdamer SPD den Gauck-Bericht über Kutzmutz drei Tage vor der Kommunalwahl veröffentlichte. Der „Schmutzwahlkampf“, wie diese Enthüllung oft genannt wird, fiel auf die Urheber im Magistrat zurück. Gramlich unterlag deutlich mit 29,5 Prozent. „Ohne diese Enthüllung zur unrechten Zeit wäre Kutzmutz durchmarschiert. Dann wäre er heute Bürgermeister von Potsdam“, davon ist PDS-Chef Bisky überzeugt. Ministerpräsident Stolpe sieht es anders: Erst der vermeintliche Schachzug seiner Potsdamer Parteifreunde habe Kutzmutz in die Arme der Wähler getrieben, dem Motto folgend: „Jetzt erst recht!“ Der Kandidat selbst sieht die Sache nüchterner: „Wer ein Kommunistenschwein nicht wählt, wählt auch kein Stasi- Schwein.“

„Ich habe meine Vergangenheit nie verheimlicht“, behauptet sich der ehemalige SED-Wirtschaftssekretär der Stadt. Er habe lediglich „vergessen“, diese Unterschrift unter die Verpflichtungserklärung gesetzt zu haben. „Ich habe so viel erzählt, dann hätte ich das doch auch erzählen können.“

Kutzmutz bemüht sich um eine Rechtfertigung. Der Unterschrift sei damals keine so große Bedeutung zugekommen. „Ich war ja bereit, mit dem Staat zusammenzuarbeiten.“ Leise räumt er ein: „Vielleicht habe ich das auch verdrängt.“ Ein älterer Herr wirft dazwischen: „Kein Staat funktioniert ohne Verfassungsschutz!“ Kutzmutz nickt zustimmend. „Trotzdem hat er auf den Gauck-Bericht völlig fassungslos reagiert“, erzählt die PDS-Geschäftsführerin. „Er war eine Stunde völlig lahmgelegt, klinisch tot.“

Kutzmutz wurde laut Gauck- Akte zwei Jahre als IM geführt. Der damals 23jährige sollte „als Einsatzkader in West-Berlin“ genutzt werden, steht in der Akte. Inwieweit Kutzmutz von diesem Vorhaben wußte, ist nicht bekannt. Jedenfalls kam es nicht zum Einsatz im „nichtsozialistischen Ausland“. Drei Berichte wurden gefunden, die er verfaßt hat. Auszeichnungen, Vergütungen oder Prämien hat er nicht erhalten. „Auch keine Bibel“, wie er in Anspielung auf Stolpes angebliches Stasi-Geschenk anmerkt.

Im wesentlichen ließ sich Kutzmutz in zwei Berichten über die Abwassersituation in Potsdam aus. Sie bezogen sich auf seine damalige Arbeitsstelle im VVB Wasserversorgung. Ein persönlicher Schaden für Dritte konnte dabei nicht nachgewiesen werden. Einmal allerdings berichtete Kutzmutz handschriftlich über eine „Genossin der Gruppe 1“, die aus der Partei austreten wollte. Der dritte handschriftliche Bericht enthielt allgemeine Angaben zu den Weltfestspielen in Berlin (Ost).

Lehrer könnte Kutzmutz mit dieser Unterschrift in Brandenburg nicht werden, aber Oberbürgermeister – wenn die WählerInnen das wollen. Und damit wäre ein IM salonfähig für höchste Ämter. „Mich können Sie wählen, ohne rot zu werden“, verheißt ein PDS-Plakat; und vielleicht gewinnt Kutzmutz damit auch den zweiten Wahlgang am Sonntag.

Drei Gründe machen dies wahrscheinlich. Zum einen sind die PDS-Mitglieder, immerhin 3.500 allein in Potsdam, und Sympathisanten hoch motiviert, erneut zur Urne zu schreiten. Sie sind gut organisiert und auch bereit, die Nachbarn zu missionieren. Nichtwähler, wie sie die anderen Parteien fürchten, sind in diesen Reihen rar.

Zweitens kann Kutzmutz auf all jene zählen, die eine gute Adresse für ihren Frust brauchen. All jene, die gegen Bonn und die Landesregierung protestieren wollen. „Ich bin enttäuscht. Auch die Hildebrandt hat uns im Stich gelassen“, vertraut eine ältere Dame Kutzmutz an. Selbst des Brandenburgers Lieblingskind, die streitbare Sozialministerin, mußte Federn lassen, als sie sich offen gegen eine Oberbürgermeisterkandidatur vom „IM Rudolph“ aussprach.

Und zum dritten mögen viele Potsdamer ihren Kutzmutz. Ehrlichkeit und aufrichtiges Interesse an den Menschen schätzen sie an dem Kandidaten.

Sein Kontrahent Gramlich wirkt dagegen wie ein Bürokrat aus alten Zeiten. Mürrisch abweisend gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern und ständig über die Undankbarkeit der Öffentlichkeit lamentierend.

Nach der Veröffentlichung des Gauck-Berichts ist Kutzmutz sofort in die Offensive gegangen. Er verteilte Kopien der Akte und legte sie im Rathaus aus. „Der ist einer von uns“, meint ein Passant.

Kutzmutz steht nicht gerne im Rampenlicht. „Ich habe mich gewundert, welche Resonanz das hat. Ich wollte nie Medienstar werden.“ Er hat es nicht gelernt, seine Unsicherheit zu verbergen, er gesteht sie offen ein. „Soll ich Sie anschauen oder in die Kamera reden?“ fragt er einen Fernsehjournalisten vor dem Interview. Kutzmutz spricht lieber über seine Familie als über seine Kandidatur. „Wissen Sie, daß mein Vater durch meinen Wahlkampf seine Stiefschwester gefunden hat?“ erzählt er stolz. Die Schwester habe den Namen Kutzmutz in den Zeitungen gelesen und sofort angerufen. Ebensogern erzählt er, daß sein alter grüner BMW ein Geschenk seiner Cousine aus Westdeutschland sei. Der Mann ist ein wenig naiv. Er hat keine Angst, falsch interpretiert zu werden, und redet niemandem nach dem Mund. „Ich habe mir geschworen, niemals mehr in meinem Leben für etwas zu stimmen ohne meine Überzeugung“, meinte er eine Spur zu theatralisch. „Ich will mich der Verantwortung stellen.“ Sollte er die Stichwahl verlieren, „kann mir zumindest niemand das erste Ergebnis nehmen“.

Doch dann will er als Oppositionschef den Gramlich stärker angehen als bisher. „Der unseriöse Wahlkampf bleibt in Erinnerung.“

Richtig schwer aber wird es für den Kandidaten, wenn er gewinnt. Dann wird in Potsdam ein politischer Grabenkrieg beginnen. Als Oberbürgermeister muß er seine fünf Beigeordneten (Dezernenten) von der Stadtverordnetenversammlung bestätigen lassen. Die anderen Parteien werden weder zulassen, daß eigene Leute unter einem PDS-Bürgermeister arbeiten, noch PDS-Dezernenten akzeptieren. Darauf ist Kutzmutz schon eingestellt: „Dann schreibe ich die Stellen aus und nehme parteiunabhängige Personen.“

Und wenn auch das nichts nützt, wenn die Mehrheit der Stadtverordneten auf Blockade schaltet? „Dann rufe ich die Bürgerinnen und Bürger vors Rathaus und erkläre ihnen, daß keiner mit mir zusammenarbeiten will und daß ihre Wahl nicht respektiert wird.“

Er selber habe keine Kontaktprobleme, beteuert er mehrfach. Ihm kommt es auf Sachkompetenz an „und nichts anderes“. Kutzmutz ist beliebt. Doch es gibt auch welche, die ihn nachts anonym anrufen und bedrohen und Briefe schreiben. „Wir haben Dir geschrieben, daß Du noch einiges zu erwarten hat. Wir werden alles tun, um Dich unschädlich zu machen“, meint einer, der zu feige ist, seinen Namen anzugeben.

Etwas gefaßter schreibt ein anderer, auch anonym: „Nach den moralischen Prinzipien hätten Sie Ihren Rücktritt erklären müssen. Sie sind für einen demokratischen Staat nicht tragbar.“ Kutzmutz: „Wer mich bedroht, sollte auf die Straße gehen und mich direkt beschimpfen.“ Als ehemaliger Hobbyboxer scheut der Kandidat keine Konfrontation. Immer mehr PassantInnen umringen ihren Oberbürgermeisterkandidaten am PDS-Infostand, und der genießt sichtlich ihren Zuspruch. Kutzmutz hält als einziger noch seinen roten Schirm aufgespannt, der Regen hat längst aufgehört – er hat es noch nicht gemerkt. „Ein Kamerateam wartet in der Parteizentrale“, erinnert sein Pressesprecher. – Der Wahlkämpfer will sich schon zufrieden verabschieden, da tritt ein älterer Herr höflich auf ihn zu. „Herr Kutzmutz, ich wollte Ihnen nur sagen, daß Sie auf die Kandidatur verzichten sollten. Sie sind noch nicht reif dafür. Ein gewisser Abstand täte Ihnen gut.“ Der Kandidat schweigt.

Ein Sympathisant kommt ihm zu Hilfe: „Soll er mit seiner Vergangenheit zeitlebens bestraft werden?“ Da ruft eine junge Frau laut und verärgert: „Herr Kutzmutz, Sie sollten sich schämen. Mir ist das peinlich, daß Sie auf der Straße mit Ihrer Vergangenheit kokettieren. Sie haben voll mitgemacht, Sie haben zugesehen, wie die Menschen an der Mauer erschossen wurden.“

Der Kandidat wird leise und stammelt: „Kohl war doch auch in China und arbeitet mit den Kommunisten zusammen.“ Dann wendet er sich schnell ab und eilt zu seinem Auto. Und hinterläßt ein paar Menschen, die bei aller Sympathie doch spüren, daß das nicht die richtige Antwort war.

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