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Weltweiter Pakt festigt Privilegien

Seit Mittwoch abend ist er unter Dach und Fach: Die Mitgliedsländer des „Allgemeinen Zoll- und Handelsabkom- mens“ (Gatt) verabschiedeten in Genf den bislang umfas- sendsten Vertrag über die Liberalisierung des Welthandels.

Nach über sieben Jahren zäher Verhandlungen ist die Uruguay- Runde zu einem erfolgreichen Abschluß gekommen: Am Mittwoch abend billigten die, nach dem Beitritt Bruneis und Bahreins vom Dienstag inzwischen 117, Mitgliedsstaaten des „Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens“ (Gatt) in Genf das bislang umfassendste Abkommen über die Liberalisierung des Welthandels per Konsens. Mit dieser Entscheidung habe „sich die Welt für Offenheit und Zusammenarbeit anstelle von Unsicherheit und Konflikt entschieden“, erklärte Gatt-Generaldirektor Peter Sutherland vor dem Abschlußplenum. Der neue Vertrag bringe „mehr Handel, mehr Investitionen, mehr Arbeitsplätze und mehr Einkommen für alle“. Über 95 Prozent der weltweit gehandelten Güter fallen nun unter die Gatt-Bestimmungen. Mitte April soll das Abkommen in der marokkanischen Stadt Marakesch unterzeichnet werden und nach Ratifizierung durch die Parlamente am 1. Juli 1995 in Kraft treten.

Auf der Abschlußsitzung der 117 Delegationschefs nannte der Gatt-Chefunterhändler Malaysias im Namen der Entwicklungsländer das Abkommen zwar ein „denkwürdiges Ereignis“, kritisierte zugleich aber die bisher völlig unbefriedigenden Marktöffnungsangebote der nördlichen Industriestaaten für Agrar-, Textil- und Rohstoffexporte aus den Staaten des Südens. Von den noch ausstehenden Zollverhandlungen für eine Reihe von Produkten, die bis März 94 abgeschlossen werden sollen, erhofften sich die Entwicklungsländer noch verbesserte Offerten der Industriestaaten.

Bis kurz vor der endgültigen Absegnung des 400 Seiten starken Abkommens wurde in Genf sowie auf einer Sitzung der Außen- und Außenhandelsminister der EU in Brüssel noch heftig um einige Kapitel gefeilscht. Nach einer Nachtsitzung der Textilgruppe zogen Indien und Pakistan, die EU und die USA erst am Mittwoch kurz vor 4 Uhr morgens ihre gegenseitigen Forderungen nach stärkerer Öffnung der Textilmärkte zurück.

In der Dienstleistungsgruppe stellten Japan und eine Reihe weiterer Staaten erst nach langen Diskussionen ihre erheblichen Einwände gegen die am Dienstag zwischen USA und EU erzielte Vereinbarung über Finanzdienstleistungen zurück. In dieser bilateralen Vereinbarung gewähren sich Washington und Brüssel gegenseitig privilegierten Zugang zu ihren Finanzdienstleistungsmärkten. Zugleich behalten sie sich das Recht vor, Banken, Versicherungen oder Kreditkartenunternehmen aus Drittstaaten nur mit Einschränkungen zuzulassen.

Mit Kompensationen gegen Veto-Drohungen

Mit dieser gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Gatt verstoßenden Vereinbarung soll Druck auf andere Staaten ausgeübt werden, in den nächsten 18 Monaten verbesserte Marktöffnungsangebote zu machen. Die Entscheidung der Regierung in Tokio, diese bilaterale Vereinbarung zu akzeptieren, um nicht für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich gemacht zu werden, sei eine „Niederlage“, hieß es in Japans Delegation.

Gatt-Vertreter aus Indien und anderen Staaten des Südens rechnen damit, daß wegen der ungeklärten Situation im Bereich Finanzdienstleistungen und in Folge von Ergebnissen weiterer Verhandlungen in diesem Bereich auch andere damit zusammenhängende Teile des Dienstleistungssektors neu verhandelt werden müssen. Dies betrifft zum Beispiel die Vereinbarungen über die Freizügigkeit von Arbeitspersonal. Es sei nicht auszuschließen, daß das ganze Dienstleistungskapitel des Gatt-Abkommens wieder auseinanderfalle.

Nur die energische Intervention von Generaldirektor Sutherland beendete einen Konflikt in der Verhandlungsgruppe über den Marktzugang. Hier hatte die EU in letzter Minute versucht, ihre ursprünglichen Marktöffnungsangebote für den Import von Holz und Lederwaren wesentlich zu verschlechtern, was auf den heftigen Protest sowohl von Schweden wie einiger lateinamerikanischer und asiatischer Staaten stieß.

Die endgültige Zustimmung der EU zu dem Gatt-Abkommen erfolgte auf der Brüsseler Ministertagung erst knapp eine Stunde vor Beginn der Genfer Abschlußrunde. Zuvor hatte Portugal, das vergeblich eine stärkere Öffnung des US-Marktes für seine Textilexporte gefordert hatte, nach der Zusage von Kompensationszahlungen seine Vetodrohung gegen ein Gatt-Abkommen fallengelassen. Lissabon soll 400 Millionen Ecu Zuschüsse aus der EU-Kasse erhalten sowie ein Darlehen der Europäischen Investitionsbank für die Umstrukturierung seiner Textilindustrie in Höhe von 500 Millionen Ecu. Auch für die Forderung Frankreichs nach einer Verschärfung der handelspolitischen Instrumente der EU wurde ein Kompromiß gefunden, der das Gatt-Abkommen nicht tangiert. Antidumping- und Antisubventionsmaßnahmen der EU-Kommission sowie Maßnahmen gegen Gatt-regelwidrig handelnde Exporteure aus anderen Staaten können künftig rascher ergriffen werden und bedürfen nur noch der Zustimmung einer einfachen Mehrheit im Ministerrat. Dagegen setzte Deutschland gegen Frankreich durch, daß Maßnahmen, mit denen zum Schutze eines Industriezweiges Importe blockiert werden können, weiterhin der Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit im Ministerrat bedürfen.

Außerhalb des eigentlichen Gatt-Abkommens einigten sich die 117-Gatt-Staaten am Mittwoch darauf, Regierungsaufträge nicht mehr vorrangig oder gar ausschließlich an einheimische Unternehmen zu vergeben, sondern sehr viel stärker als bisher internationale Konkurrenz zuzulassen. Nach Auskunft der Genfer Gatt-Zentrale werden weltweit jährlich Regierungsaufträge im Wert von über 220 Milliarden US-Dollar vergeben. Andreas Zumach, Genf

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