: Ex-Jugoslawien: „Rücksicht auf politische Interessen“
■ Völkerrechtsprofessor Bassiouni wirft UNO vor, daß seine Kommission kein offizielles Mandat für Sammlung von Beweisen für Kriegsverbrechertribunal hat
Genf (taz) – Ob es vor dem Den Haager Tribunal über die Kriegsverbrechen in Ex-Jugoslawien zu einer Formulierung der Anklageschriften kommen wird, ist weiterhin offen. Denn entgegen einer weitverbreiteten Annahme hat die fünfköpfige Expertenkommission, die sich bereits seit November 1992 im Auftrag des UNO-Sicherheitsrates mit den Kriegsverbrechen befaßt, nicht das offizielle Mandat, Opfer- und Zeugenaussagen für den Den Haager Ankläger zu sammeln. Das räumte der Vorsitzende der Kommission, der Chicagoer Völkerrechtsprofessor Sharif Bassiouni gestern auf einer Pressekonferenz in Genf ein. Bassiouni bestätigte, daß zwischen der Kommission und dem Tribunal „juristisch keine Verbindung“ bestehe. Mit eben diesem Argument verweigern Rußland, Deutschland und die meisten anderen EU-Staaten der Kommission die notwendige Zusammenarbeit sowie finanzielle Unterstützung. Nach ihrer Auffassung hat die Kommission nur die Aufgabe, bis Juli 1994 einen Bericht über die Art der in Jugoslawien begangenen Kriegsverbrechen zu erstellen.
Die Kommission hat auch 13 Monate nach ihrer Einsetzung kein festes Budget und ist personell hoffnungslos unterbesetzt. Um Klarheit zu schaffen, müsse der Sicherheitsrat der Kommission in einem neuen Mandat eindeutig die Funktion der Ermittlungsbehörde zuweisen, erklärte Bassiouni. Dazu bestehe jedoch aus politischen Gründen im Sicherheitsrat keine Bereitschaft. Je länger die Identifizierung von Opfern und Zeugen sowie die Sammlung von Beweisen hinausgeschoben werde, desto geringer werde die Chance für die Formulierung von Anklageschriften.
Während sich Bassiouni offiziell mit Äußerungen zu den Gründen der Verschleppung zurückhielt, erklärte ein UNO-Offizieller am Rande der Pressekonferenz: „Die Staatengemeinschaft hat kein ernsthaftes Interesse an der Verfolgung der Kriegsverbrechen.“
Der Ägypter Bassiouni, ein Muslim, war im Sommer der von den USA, den Ländern des Südens sowie UNO-Generalsekretär Butros Ghali unterstützte, aber schließlich am Widerstand Rußlands, Frankreichs und Großbritanniens gescheiterte Kandidat für den Posten des Anklägers vor dem Haager Tribunal. „Das Verfahren zur Auswahl des Anklägers war ein wohlorchestrierter Prozeß mit dem Ziel, Bassiouni zu verhindern“, erklärte Venezuelas UNO- Botschafter Arrias. Der Grund: Bassiouni habe „klargemacht, daß er als Ankläger keine Rücksicht auf poltische Interessen einzelner Staaten oder auf den Genfer Verhandlungsprozeß nehmen“ werde. Andreas Zumach
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