: Satt im Reich des Bösen
■ Das Restaurant Gorki Park weckt Erinnerungen an Vor-Glasnost-Zeiten
Zur Liste besonders ekliger Wörter, wie sie allmonatlich im Satiremagazin Titanic veröffentlicht wird, darf sicherlich der Begriff Erlebnisgastronomie gezählt werden. Unter diesem Etikett hatte das sowjetische Restaurant Gorki Park zu leiden, bevor es aus einem Reeperbahnkeller an die Grindelallee umgezogen ist. Daß dafür ein passabler Chinese hat Platz machen müssen, ist zwar schade. Doch das Ambiente des Gorki Park entschädigt.
Der Gast wird in eine Zeit, als die Union der sozialistischen Sowjet-republiken noch als festes Bollwerk gegen den Imperialismus stand, entführt. Die Farbe rot herrscht vor. Auf westlich dekadentes Beiwerk, wie Tischdecken, wird verzichtet. Beim Genuß proletarischer Speisen darf also gekleckert werden.
Für Sowjetnostalgie sorgt auch der Service, der offenbar noch im Reich des Bösen geschult wurde. Die Getränke kamen erst, nachdem die Vorspeisen schon fast verzehrt waren. Statt des bestellten Hauptgerichts Grusinisches Hähnchen wurde Turkey Sibirsk serviert. Erinnerungen werden wach an Zeiten, als es noch den deutschen Staat mit den HO-Restaurants gab.
An der Solianka, einer scharfen Suppe mit gekochtem Schinken, Gemüse, saurer Sahne, Kapern und Zitrone (4,88 Mark) gab es nichts zu mäkeln. Die unter Vorspeisen verzeichnete Bierspeise Rabotzki Frasz (13,48 Mark) erwies sich jedoch eher als Entree für ein Wodkagelage: Zwei halbe russische Eier, Räucherlachs und Sardinen bilden eine gute Grundlage für ganz ganz viel Wodka - nur die vier Scheiben Gouda erinnerten etwas an Mangelwirtschaft. Die als Zwischengang servierten Blinis (eine Art Kartoffelpuffer) mit Räucherlachs und Kräutercreme (je 9,88 Mark) konnten überzeugen, auch wenn weniger Sour Creme mehr gewesen wäre. Der inzwischen doch noch servierte Krim-Rotwein erwies sich tatsächlich wie auf der Speisekarte versprochen als trocken. Bier und Wodka sind allerdings passendere Getränke zu den Speisen realsozialistischer Provenienz.
Das Gorki-Lamm, ein auf den Punkt gegarter Lammrücken mit Kräuter-Knoblauch-Soße (18,32 Mark), war in den seligen Tagen vor Glasnost wohl nur Funktionären vorbehalten, während sich am Grusinischen Hähnchen, ein verschwindend kleines Stück Geflügelbrust in Erdnußsoße (13,32 Mark), auch niedere Kader laben durften. Der sozialischen Maxime, das Volk zu sättigen, wurde entsprochen, so daß wir auf eine Nachspeise verzichteten und uns statt dessen der reichhaltigen Wodkakarte (11 verschiedene Wässerchen) widmeten.
Insgesamt stellte sich heraus, daß, wenn man in Sowjetnostalgie schwelgen will, es empfehlenswerter ist, sich mit einem Gericht zu begnügen und ansonsten das Ambiente und die Wässerchen zu genießen. Nastrowje! Kai Rehländer
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