: Bremens Frauen tragen Schwarz
■ Einige Wahrheiten über „Korsett-Friedel“ im Viertel / Von Straparellos, eßbaren Slips und Fischstäbchen
Nein, eßbare Slips, nach denen vor geraumer Zeit das Frühstücksfernsehen von RTL hier fahndete, gibt es nicht bei Korsett-Friedel. Außerdem, weiß die Juniorchefin des Traditionsgeschäfts am Ostertorsteinweg, Susanne Pietsch, wurde dieser Scherzartikel ohnehin aus lebensmittelrechtlichen Gründen verboten. Frau Pietsch (28) erläutert: „Wir wollen nicht zu ordinär sein. Wir wollen den lieben Kunden.“
Auf dem schmalen Grat zwischen seriöser Unterwäschenberatung und halbseidenem Angebot von Schlüpfrigkeiten balanciert Korsett-Friedel mittlerweile schon seit 90 Jahren, und es ist wahr, daß einstmals die Gründerin Friedel hieß. Aber seitdem hießen mehrere andere Damen Friedel, wie auch die Würze von Knorr immer nur Maggie heißt, allerdings gab es nur eine legendäre Friedel, und das war Frau Colby.
Bis vor 6 Jahren hatte Frau Colby den Laden, bis sie an Erschöpfung zugrunde ging, und sie war die, welche die notwendige Körbchengröße des Büstenhalters mit der Hand bestimmte, wie begeisterte Kundinnen heute noch wissen. Sie hatte die rechte Mischung aus Burschikosität, Mütterlichkeit und Fachverstand, die das Dessousgeschäft zum angenehmen Aufenthaltsort macht.
Doch auch die jetzigen Ladeninhaber sind nicht ohne. Renate Pietsch und Tochter Susanne entstammen einer, wie sie es ausdrücken, „Miederwarendynastie“. Und zwar war Oma die ebenfalls legendäre Elli Brodziak, die ihren Laden auf der Knochenhauer Straße hatte. Elli B. war die letzte gelernte Korsettmeisterin Bremens, die mit ihren Fischstäbchen noch auf die Walz gegangen war. Fischstäbchen sind, das weiß ja heute kaum mehr jemand, die eigentlichen Stützelemente der Korsetts und anderer Miederwaren, sie formen die weibliche Silhouette nach Wunsch (und kneifen bisweilen). Aus einem Fach unter der Theke können die Damen Pietsch heute noch ein umfangreiches, in braunes Tuch geschlagenes Bündel solcher Stäbchen zaubern, allerdings nicht mehr aus Fischbein, wegen der Wale, sondern meist aus Metall, gern mit hautfarbener Baumwolle umwickelt.
Rudimente solcher Stäbchen finden sich regelmäßig noch in Büstenhaltern, zumal solchen ohne Träger, die ja von sich aus aufrecht stehen müssen. Fischstäbchen sind selten geworden, und so gibt es sie bei Korsett-Friedel nur als Einzelstück.
Korsett-Friedel ist ein ausgesprochenes Stammkundschafts- Geschäft, 80 Prozent der Kundinnen kommen oder kamen aus dem „Viertel“, und man kennt und schätzt sich. Die wichtigste Information, ja geradezu die Geschäftsgrundlage des hiesigen Dessousgeschäfts ist: Bremer Frauen tragen schwarze Unterwäsche. Bißchen Weiß, kaum Rot, keinesfalls, wie in Bayern zu finden, floral bedruckt. Leider ist nach Erkenntnissen von Susanne Pietsch die norddeutsche Frau „wäschefaul“, „man kauft, weil man braucht, nicht weil man möchte.“ Und geht davon aus, „außer meinem Mann sieht's eh niemand“. Darüber hinaus gebe es in Bremen keine guten Jobs für Frauen. Dagegen Hamburg! Wo Frauen in Versicherungen und Ölgesellschaften das Geld verdienen, sich Edelunterwäsche zu leisten.
Es ist wahr, man sieht sie leider nicht. Nun gut, Strapse, die sind seit der Erfindung der halterlosen Strümpfe eher was fürs Auge, aber die werden kaum noch nachgefragt. Die Sexwelle ist vorbei, bei Korsett-Friedel sowieso, die alte Colby hatte ja noch lauter Beate- Uhse-Textilien, aber „das haben wir reduziert,“ - mit Blick auf die seriöse Kundschaft.
Man sieht's doch! Ein geschultes Auge sieht, ob man unter dem Strickschlauchkleid irgendwas oder den extra dafür erfundenen Bodydress trägt. Das ist ein Body, an dem ein Unterrock befestigt ist, mit glatten Satinpartien und blumigen Jacquardmustern wirkt diese Textilie sehr Madonna-like. Weitere Neuigkeit: Straparellos, Slips mit angenähten Strapsen, sehr luxuriös! Doch auch die reifere Dame findet hier noch ihren Unterrock in cognac mit den endlosen Spaghettiträgern.
Weil der Laden auf vertrauenerweckende Weise altbacken wirkt mit der kleinen Galerie, den alten Reklamepuppen aus Bakelit, dem Verkaufstresen aus den Siebzigern, zieht er auch allerlei auswärtiges Volk an, ja sogar die Ausstatter von Theater und Fernsehen decken sich hier ein, und im Bedarfsfall ordert Frau Schreinemakers bei Friedel. Frau Schreinemakers aber hat neulich in ihrer Sendung etwas böses gesagt: Die Miederwarenverkäuferinnen seien insbesondere in den Umkleidekabinen aufdringlich. „Seitdem beobachte ich mich sehr genau - aber die Kundschaft geht doch in ein Fachgeschäft, um beraten zu werden!“ klagt Frau Pietsch junior, „sie wollen doch auch, daß wir ihnen die BH-Träger einstellen!“ Gern führt sie ihre weiträumigen Kabinen vor, „kinderwagentauglich“ und mit - das wissen die Kundinnen besonders im Sommer zu schätzen - großen Ventilatoren.
Mit einer exklusiven Herrenslip- Serie aus der Schweiz bedient man die homosexuelle Klientel. Überhaupt die Männer! Jeden, dessen sie habhaft wird, quetscht Susanne Pietsch nach seinen „Schwellenängsten“ aus, die sie nicht verstehen kann. Da drücken sie sich rum, nuscheln und stottern, erröten und werfen scheue Blicke, die Männer, und wollen doch nur was hübsches für sie, ein schwarzes Torsolet etwa, was ein jugendlicher korsettartiger Long-BH ist, und manchmal tragen die Herren es auch selbst, na und? Vor Weihnachten drängen sich übrigens bisweilen so viele Männer im Laden, daß die Frauen mit ihrem Wunsch nach einem luxuriösen Samtbody Hemmungen bekommen.
Teuer? Was heißt schon teuer? Für 20 Mark ersteht man einen hübschen Slip, für 270 eines dieser beliebten oversized Seidenhemden für die Nacht. Mehr als 900 Mark kann man eh nicht ausgeben, dafür hat man dann aber einen Traum von Nachthemd, in champagner, plissiert, mit Perlen und Pailletten besetzt, inklusive nahegelegt, für die heimliche Diva.
Draußen, am Schaufenster, hängt ein Lautsprecher, aus dem es quietscht und pfeift. Der Aufmerksame entdeckt, daß es sich um das Schnarchen eines kleinen Weihnachtsmanns innerhalb der Dekoration handeln muß. Im anderen Fenster lümmelt, wenn es draußen nicht zu kalt ist, eine Katze namens Minka. So ist Korsett-Friedel, so wird Korsett-Friedel bleiben in alle Ewigkeit. „Der Laden bleibt, wie er ist, der Name bleibt, und wir bleiben hier im Viertel.“ Sagt Susanne Pietsch, dritte Miederwarengeneration - und vierte Friedel.
Burkhard Straßmann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen