■ „Operation Superga“ – der erprobte Bürgerkrieg zwischen Süd und Nord: Reality-Wargames all'italiana
Mailand, Genua, Rom (taz) – Nervös zupfen die Beamten an ihren mitgebrachten Papieren und Mappen, auf denen der Stempel „super segreto“ (top secret) zu lesen steht. Ein kurzes Händeschütteln mit dem Vorgesetzten, schnell den Espresso ausgetrunken und das erste morgendliche briefing kann beginnen. Es ist der 9. November 1993. Die Zeit: 8 Uhr früh. Order werden erteilt, aufgeregte Telefonate mit dem römischen Innenministerium geführt und Frontlinien abgesteckt. Die Szene wiederholt sich zeitgleich in allen Kasernen, Polizeipräsidien und -stationen Norditaliens.
Zusammen mit unzähligen Technikern und Ingenieuren wichtiger öffentlicher Einrichtungen spielen Verwaltungsbeamte, vor allem aber Generäle, Carabinieri und Polizisten drei Tage lang (9. bis 11. November) den inneritalienischen Ernstfall durch – auf dem Reißbrett. Keine Absurdität ist abwegig genug, als daß sie nicht als Option mitbedacht worden wäre.
Der arme Süden hat den hochindustrialisierten Norden angegriffen. Das Motiv? Klar, der Süden will mit einem Rückfall in Barbarossas Zeiten seine marode Wirtschaft sanieren. In der Apenninhalbinsel herrscht Bürgerkrieg. Fast so wie im ehemaligen Jugoslawien. Zuerst stehen Flughäfen und Elektrizitätswerke in den Regionen Piemont, Valle d'Aosta, Ligurien und der Lombardei in Flammen. Sizilianische und sardische „Terroristen“, von marokkanischen Handlangern unterstützt, verbreiten dann mitten im Berufsverkehr mit ihren Bombardements Angst und Schrecken unter der norditalienischen Bevölkerung. Unruhen breiten sich aus. Demonstrierende Massen, flüchtende Menschen, Tote, Verletzte. Chaos. Die Sprengstoffattentate jagen Autobahnbrücken in die Luft und zerstören Wasserdämme. Alles auf dem Papier: Reality-Wargames mit bunten Reißzwecken und rauchenden Hohlköpfen.
Die vier betroffenen Nordregionen (grüne Reißzwecken) haben nur drei Verbündete, die Nachbarregionen Trentino, Friuli und Veneto (gelbe Nadeln). Die 13 anderen Regionen (graue Reißzwecken), von der Emilia Romagna bis Sizilien, kämpfen mit einer gemeinsamen Armee, die aber – so die Botschaft der Gaga-Operation – nichts taugt.
Natürlich gehen die Nordstaatler siegreich aus dem simulierten bewaffneten Konflikt auf der Halbinsel hervor. Weil sie mehr Geld und angeblich mehr Grips haben, verfügen sie über bessere Waffen und die bessere Logistik. Nebenbei und selbstverständlich völlig ohne Absicht hat dieses virtuelle Kriegsspiel die Mär vom unzivilisierten Süditaliener, der wilden Horden zu entstammen scheint, institutionell Nahrung gegeben. War Peppino schon ewig der dumme terrone, der Erdfresser, für den „Bourgois“ aus Mailand, Venedig oder Genua, ist dies Vorurteil jetzt sozusagen amtlich.
Das vom Innenministerium in Rom bis ins Detail koordinierte und geplante Horror-Szenario könnte perfider kaum sein. Erwartungsgemäß hat es sich zur Lachnummer entwickelt. Muß ich hinzufügen, daß der „Frieden von cretin- town“ (La Repubblica) am 11. November auf neutralem Boden in San Marino geschlossen wurde? Ein paar kleine Ungereimtheiten der martialischen Phantomaktion geben jedoch zur Hoffnung Anlaß. Den christdemokratischen Innenminister Nicola Mancino allerdings dürften sie mit großer Sicherheit erhebliche Bauchschmerzen verursacht haben. Wäre wirklich Krieg gewesen, dann hätte er jeden Tag zwischen 14 und 15 Uhr abgebrochen werden müssen. Die Angestellten und Beamten nämlich scherten sich nicht um die „wirklichkeitsnahen Rahmenbedingungen“: Sie verabschiedeten sich wie gewohnt pünktlich zum Mittagessen und gingen keine Minute später als 17 Uhr nach Hause. Stell dir vor, es ist Krieg, und alle sagen Mahlzeit!
Gedacht war die „Operation Superga“ dazu, in Erfahrung zu bringen, wie schnell und wie effizient die Vielzahl von Institutionen bei überraschenden Angriffen und Attentaten reagieren würden. Trotz strengster Geheimhaltung wußten die meisten Mitarbeiter der betroffenen Polizeistationen, der Flughäfen und der Elektrizitätswerke mindestens eine Woche vor der „Blitzaktion“ von dem hirnrissigen Kriegsspiel Bescheid, bei dem sie noch hirnrissigere Meldungen per Funk durchgeben sollten. Viel zu rechnen und strategisch zu denken gab es also nicht. Bevor im Spiel die ersten Straßenblockaden der Polizisten zwecks Kontrolle möglicher „Terroristen“ errichtet und Verteidigungsstrategien entwickelt werden konnten, dauerte es nach den Indiskretionen der Tageszeitung Corriere della Sera dennoch fast zwei Stunden.
Abgesehen von der offensichtlich peinlich verlaufenden „normalen Verteidigungsübung“ (Mancino) läßt eine andere Tatsache grübeln. An keiner Stelle wurde während des Megakicks für Bürokratenhirne die Rolle der Hauptstadt Rom erwähnt. Rein geographisch war sie bei den Angreifern lokalisiert. Ist das am Ende ein Wink mit dem Kanonenrohr für die im Norden siegreiche separatistische Lega Nord? Ganz so daneben wäre dieser Gedanke nicht. Denn in die Zeit der seit den ersten großen Wahlerfolge der Lega vor einem Jahr erdachten „Operation Superga“ fielen aufgeregte politische Debatten über die Drohung des Parteichefs der lombardischen Protestbewegung, Umberto Bossi, wenn nicht bald Parlamentsneuwahlen angesetzt würden, eine „provisorische Gegenregierung“ aufzustellen. Die werde, so Bossi, eine verfassungsgebende Versammlung für eine Föderation Italien, bestehend aus drei eigenständigen Staatsgebilden, ins Leben rufen.
Politik mit anderen Mitteln: „Operazione Superga“ wider den zentralistischen Supergau gewissermaßen. Oder das neue Motto der Altparteien: „So leicht lassen wir uns von den Wählern nicht abservieren“? Franco Foraci
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