■ Wir lassen lesen: Der Löwe vom Arlberg
Schon das Inhaltsverzeichnis gäbe genug Stoff für ein abendfüllendes Quizprogramm. Wer war der „Adler von Adliswil“ (Ferdy Kübler), wer der „geniale Stadtneurotiker“ (John McEnroe), die „Maite“ (Marie- Theres Nadig), „The Great One“ (Wayne Gretzky, of course), der „einsame Wolf“ (Jochen Rindt), der „Fred Astaire des Fußballs“ (Jürgen Grabowski), das „ewige Talent“ (Gabriela Sabatini), der „Engel der Berge“ (Charly Gaul) oder gar der „Löwe vom Arlberg“ (Karl Schranz). Eine geballte Metaphernflut ergießt sich über die Leserschaft jener Buchreihe des Copress-Verlages, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die großen Stars verschiedener Sportarten in konzentrierter Form zu porträtieren.
Die Stars, ihre Mythen und Macken sind es letztendlich, die die Faszination des Sports ausmachen, und dort vor allem jene aus längst vergangenen Zeiten, deren Taten etwas Märchenhaftes an sich haben, weil sie noch nicht mit der heutigen Bilderflut, sondern höchst unvollkommen in schriftlichen Zeugnissen und altertümlichen Fotografien überliefert sind.
So handeln die interessantesten Kapitel auch nicht von den Stars der Gegenwart wie Boris Becker, Alain Prost, Monica Seles oder Alberto Tomba, sondern von Figuren aus dunkler Vergangenheit wie etwa dem Eishockeyspieler Howie Morenz, „Liebling der Fans“, der in den zwanziger und dreißiger Jahren für die Montreal Canadiens übers Eis kurvte und 1950 zum „besten Eishockeyspieler des halben Jahrhunderts“ gewählt wurde.
Von der Skiläuferin Christine Goitschel und ihrer ungebärdigen Schwester Marielle, die dem Schah von Persien einst bescheinigte, er laufe Ski „wie ein Esel“. Vom spanischen Volkshelden Federico Bahamontes, „König der Bergkönige“ und „Adler von Toledo“, der das Radfahren bergauf lernte, weil er als Kind immer Kartoffelsäcke die Steigungen hoch nach Toledo transportieren mußte. Von Gustav Thöni, „genialer Umsteiger“ und x-beiniges Slalomwunder, das mit drei Mandeln zur Welt kam. Von Juan Manuel Fangio, dem „Mythos“ und fünfmaligen Formel-1-Weltmeister, der später von den kubanischen Revolutionären kurzfristig entführt wurde und in Rom einmal einem Strafmandat entkam, als er auf die Feststellung eines Polizisten „Sie fahren ja wie Fangio“ entgegnete: „Ich bin Fangio“. Von Althea Gibson, der ersten schwarzen Wimbledongewinnerin, die lange zwischen einer Karriere als Jazzsängerin oder Tennisspielerin schwankte. Von Severino Minelli, „Ritter ohne Furcht und Tadel, dem achtzigfachen Schweizer Fußball-Nationalspieler der dreißiger Jahre, der stets ohne Butter und Käse frühstückte, weil er „etwas zu dickem Blut“ neigte. Von Zeno Colo, dem „Holzfäller aus Abetone“, Abfahrtssieger 1952 bei den Olympischen Spielen in Helsinki, der während des Faschismus bei illegalen Rennen abwechselnd unter den Pseudonymen „Blitz“ und „Donner“ gestartet war. Oder von Fred Perry, der erst Tischtennis- Weltmeister wurde, bevor er dreimal Wimbledon gewann.
Anekdotenreich, spannend geschrieben, mit vielen Fotos und ausführlichem statistischen Material versehen, liefert die Reihe der großen Stars ein auch als Nachschlagewerk gut zu gebrauchendes „Who's who“ jener sechs Sportarten, die bislang Berücksichtigung fanden. Bleiben noch jede Menge Lücken, als da wären: Boxen, Leichtathletik, Weltfußball, Basketball, Skispringen, Eiskunstlaufen, Schach, Handball, Biathlon, Tontaubenschießen, Dressurreiten, Cricket, Orientierungslauf, etc. Es ist zu hoffen, daß diese baldigst gestopft werden. Copress, übernehmen Sie! Matti Lieske
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