■ Erstmals geht Israels Armee gegen jüdische Siedler vor: Die Schonzeit ist vorbei
20 Jahre lang galt in den israelisch besetzten Gebieten zweierlei Recht: Die Palästinenser unterlagen Militärrecht. Ausgangssperren, Festnahmen und Hausdurchsuchungen waren und sind an der Tagesordnung. Die jüdischen Siedler dagegen, obwohl genauso Bewohner von Westbank und Gaza-Streifen, waren von solchen durch das Militärrecht gedeckten willkürlichen Maßnahmen so gut wie nie betroffen. Die Hätschelkinder der Regierenden konnten sicher sein, daß die Militärs bei ihren gewalttätigen Ausschreitungen ein Auge zudrückten. Seit dieser Woche nun gilt erstmals gleiches Recht für alle. Das willkürliche Militärrecht bleibt. Es fällt deshalb schwer, von einem Schritt in Richtung Rechtsstaat in den (noch) besetzten Gebieten zu sprechen.
Doch darum geht es bei der Entscheidung wohl auch nicht. Den Siedlern ist es in den letzten Wochen gelungen, das Friedensabkommen zwischen Israel und der PLO an den Rand des Scheiterns zu bringen. Ihre Aktionen und die Reaktionen der Hamas haben dazu geführt, daß die Gewalt nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens nicht gesunken, sondern, im Gegenteil, noch gestiegen ist.
Drei Monate hat die israelische Regierung gezaudert und gezögert, hat den Mordanschlägen tatenlos zugeschaut, obwohl die palästinensische Seite immer wieder darauf hinwies, daß die Siedler-Gewalt Wasser auf die Mühlen der eigenen gewalttätigen Hamas-Opposition ist. Jetzt hat Israel entschieden. Der Beschluß, gewalttätige Siedler in Zukunft genauso zu behandeln wie gewalttätige Palästinenser, ist ein Signal für Israelis und Palästinenser. Der PLO wird Hilfe gegen deren Opposition demonstriert. Der eigenen Bevölkerung wird deutlich gemacht, daß die Siedler als politische Manövriermasse ausgedient haben.
Dieses Signal ist nur deshalb möglich, weil die Siedler inzwischen auch in der israelischen Bevölkerung isoliert sind. In Tel Aviv und Haifa, in Naharia und Aschdod sehen immer weniger Menschen ein, warum es den Siedlern möglich sein soll, zuerst Millionen Regierungsgelder zu kassieren, um anschließend der Regierung in den Rücken zu fallen. Bei den Demonstrationen der Siedler gegen das Friedensabkommen ist deutlich geworden, daß ihnen kaum eine Mobilisierung über die eigenen Reihen hinaus gelingt. Ihre Funktion in der israelischen Politik ist seit dem Abkommen zwischen Israel und der PLO dahin. Drei Monate lang durften sie sich noch des Schutzes der Politik erfreuen. Damit ist jetzt Schluß. Die Regierung zieht den Schutz ab und legt den Siedlern damit die einzig sinnvolle Konsequenz nahe: deren Rückzug aus den besetzten Gebieten nach Israel. Klaus Hillenbrand
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