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Noch immer ein vernüntigeres Thema gefunden

■ Wirt Conny Weß will keine Weihnachtsstimmung in seiner Kreuzberger Kneipe haben

Seit Conny Weß die „Bier- und Weinwirtschaft“ in der Oranienstraße vor vier Jahren zum „Vollmond“ machte, steht der 55jährige am 24. Dezember hinter der Theke.

taz: Was ist denn das Besondere am Heiligen Abend?

Conny Weß: Das Besondere bei uns ist, daß der 24. hier ein ganz normaler Abend ist. Wir machen hier keinen auf sentimentale Stimmung. Hierher kommt jeder, der ein Bier trinken will, etwas essen und gute Musik hören – Blues natürlich, das ist meine Abteilung. Ein Weihnachtslied kriegste hier nicht zu hören.

Ist der Abend für die Kunden auch ganz normal?

Für die meisten schon. Einige Gäste sind Stammkunden, andere kommen nur, weil sie wissen, daß hier nichts mit Weihnachten los ist. Und manche kommen zufällig vorbei und sehen: Da können wir reingehen.

Kommen auch Leute, denen anzumerken ist, daß sie an diesem Abend nicht allein sein wollen?

Wer Weihnachten allein ist, der ist das ganze Jahr über auch allein. Da mußt du als Wirt an jedem Tag drauf eingehen. Ein großer Teil ist ohnehin Psychologie. Nach zehn Jahren als Wirt in Kreuzberg weiß ich sofort, wenn jemand reinkommt, was mit ihm los ist. Schließlich ist das hier kein Massenbetrieb.

Fehlt Ihnen Weihnachten nie?

Jedes Jahr die gleiche Scheiße? Wenn du aus einer sogenannten gutbürgerlichen Familie kommst, immer dasselbe machst, so mit Karpfen am Heiligen Abend und so, dann hast du zeit deines Lebens keinen Bock mehr darauf. Es ist ein Tag wie jeder andere auch, das möchte ich den Leuten vermitteln. Deswegen stehe ich an solchen Tagen auch am liebsten selbst hinterm Tresen...

...also ist es doch etwas Besonderes, eine Art Anti-Weihnacht?

Nein, aber ich habe die meiste Erfahrung. Kann ja nötig sein, falls doch mal einer das heulende Elend bekommt. Wenn halt mal einer ein bißchen sentimental wird, dann bekommt er vielleicht einen Schnaps ausgegeben, oder ich frage ihn nach seinem Lieblingslied. Wenn ich's habe, spiele ich es natürlich gerne – aber kein Weihnachtslied!

Sind die Gespräche auch ganz so wie an normalen Tagen?

Ein vernünftigeres Thema als Weihnachten haben wir noch immer gefunden. Wo steht geschrieben, daß sich ein Wirt mit seinen Gästen langweilen muß? Im letzten Jahr war anders, daß der Abend besonders lange dauerte. Da haben wir bis morgens um acht gesessen, das ist nicht normal. Wir hatten eine unheimlich interessante Runde, unter anderem mit dem Bassisten Jay Olliver, der kürzlich gestorben ist. Seine bemerkenswerteste These war: Blues ist nicht schwarz. Es ist ja ein bißchen umstritten, ob Weiße einen guten Blues oder Jazz machen können. Also gute Gespräche gibt es immer. Bisher gab es noch keinen Piep von sentimentaler Weihnachtsstimmung, aber vielleicht kommt's ja in diesem Jahr knüppeldick. Interview: Christian Arns

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