piwik no script img

Die Welt des Fußballs ist schwarzweiß Von Ralf Sotscheck

„Vielleicht war es ja alles nur ein Alptraum“, stöhnte Trevor, als gestern die Auslosung der sechs Gruppen für die Fußballweltmeisterschaft 1994 in den USA übertragen wurde. „Vielleicht haben wir uns doch qualifiziert. Laß den Fernseher noch einen Augenblick an.“ Es war natürlich kein Alptraum: England, wo der Fußball angeblich erfunden wurde, muß im nächsten Jahr zuschauen.

Wer den Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. „Die Mannschaft und ihr runkelrübiger Trainer Graham Taylor sollten sich bei einem Subbuteo-Turnier anmelden“, riet Trevors Freund Peter. „Möglicherweise überstehen sie dabei ja die Vorrunde.“ Aber selbst um das Tischfußballspiel Subbuteo ist inzwischen eine heftige Kontroverse ausgebrochen, in die natürlich ebenfalls das englische Team verwickelt ist. Das Ganze begann, als der neunjährige Ashley Williams aus Tamworth in Staffordshire seine Subbuteo- Sammlung erweiterte. Da Ashley genauso schwarz ist wie sein Vorbild, der englische Stürmer John Barnes, kaufte er sich die englische Nationalmannschaft. Um so größer war sein Entsetzen, als er zu Hause die Packung öffnete: Kein John Barnes, kein Carlton Palmer, auch Les Ferdinand und Des Walker fehlten – alle elf Spieler waren blütenweiß. „Wenn ich später mal für England spiele, erscheine ich in der Subbuteo-Mannschaft dann auch als Weißer?“ fragte Ashley seine Mutter. Die rief bei der Herstellerfirma Waddington's an. Dort erklärte man ihr, daß die Welt des Fußballs schwarzweiß sei — jedenfalls bei Waddington's: Die Firma produziert Mannschaften wie Brasilien, Uruguay und Mexiko zwar – genauso falsch – ganz in Schwarz, doch gemischte Teams seien technisch leider noch nicht möglich. Und die Umstellung der Produktion sei nicht über Nacht zu bewerkstelligen. Über Nacht? Produziert Waddington's etwa am Polarkreis in ewiger Finsternis? Das englische Länderspiel-Debüt des ersten schwarzen Spielers, Laurie Cunnugham, fand 1979 statt. Inzwischen hat England mit Paul Ince einen schwarzen Mannschaftskapitän.

Das läßt Waddington's freilich kalt. Ashley könnte sich mit einer Dose schwarzer Farbe behelfen, riet der Direktor der Entwicklungsabteilung, Norman Bannister, der Mutter. Echte Subbuteo- Fans würden ihre Spielfiguren ohnehin mit einer persönlichen Note versehen: „Unsere Figuren haben nämlich auch keine blonden Haare, und es gibt keine Bärte“, meinte Bannister. „Um das Spielerlebnis authentischer zu gestalten, kleben viele längere Haare an, verändern die Haarfarbe oder die Rückennummern und so weiter.“ Wie aber verändert man die körperliche Statur der Figuren? Die Spieler sehen alle gleich aus, es gibt keine kleinen oder fetten Spieler. Was machen also die Fans des kleinen, dicken Paul Gascoigne – ganz abgesehen von dem kommißbrotartigen Gesichtsausdruck des Spielers, der bei Fernsehinterviews mit Vorliebe ins Mikrophon rülpst.

Vielleicht gibt es eine realistische Lösung: Waddington's könnten das englische Team einfach vom Markt nehmen. Schließlich haben sich die echten Fußballer ja auch nicht für die Weltmeisterschaft qualifiziert. Oder John Barnes, Paul Ince und die anderen schwarzen Spieler werden in Zukunft mit Kalk eingerieben, bevor sie auf das Spielfeld laufen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen