: Spartentod auf Raten
■ In Bochum und Kassel wurde das Ballett bereits abgeschafft - die nächsten, abtreten bitte!
In Joachim Schlömers jüngster Choreographie „Neuschnee in Troja“ wird nach Beethovens Siebter getanzt. Im zweiten Satz, unter anderem eine Reaktion auf die Schlachten von Austerlitz und Jena, folgen auf Siegesposen Tod und Abtransport der Leichen. Die Tänzerinnen und Tänzer sind gleichzeitig Liebende und Geliebte, Krieger und Gefallene, Werbende und Umworbene, Täter und Opfer. Ein bedrückend selbstverständlicher Kampf aller gegen alle, und wenn sich die Ensemblemitglieder am Ende gegenseitig Tücher um den Kopf legen und einmal kurz zuziehen, ist das auch ein Bild für die derzeitige Lage des deutschen Tanzes. Es muß gespart werden, und das läßt zunächst die Köpfe des Balletts rollen, dem schwächsten Glied im deutschen Stadt- und Spartentheater. Bei „Neuschnee in Troja“ tanzen lediglich zehn Tänzerinnen und Tänzer mit, was nichts mit ästhetischem Kalkül zu tun hat, sondern eine Folge der Sparpolitik ist. Das Ulmer Ballett ist personell ausgedünnt.
Schlömer kündigte vor einigen Monaten, eine konsequente Reaktion auf die langsame Erdrosselung seiner Bühnenkunst. Er spricht von einem grundsätzlichen Dilemma, das für diese Entwicklung verantwortlich ist. „Ulms Kulturbürgermeisterei drückt sich bis heute vor den eigentlichen Entscheidungen und sagt zum Beispiel nicht, wir wollen ein gutes Sprechtheater und müssen deshalb das Ballett schließen. Das könnte ich verstehen, statt dessen will man mit einem neuen Choreographen unter gleichbleibend miserablen Bedingungen weitermachen.“
Und dabei könnte Ulm, so meint Joachim Schlömer, durchaus ein Standort für den zeitgenössischen Tanz und Sprungbrett für junge Choreographen sein. Er selbst versucht ab der nächsten Spielzeit das Weimarer Nationaltheater als neuen Brückenkopf des zeitgenössischen Tanzes ins Gespräch zu bringen. Der künftige Weimarer Intendant, Günther Beelitz, hat ihn verpflichtet, Schlömer wird mit einem Ensemble von vierzehn Mitgliedern arbeiten; ein reines Tanzensemble, die Ballettmitglieder werden also nicht wie in anderen Städten zu „Fremdarbeit“ herangezogen.
Ein heikler Punkt, wie man derzeit in Heidelberg sieht, wo Kresnik-Nachfolgerin Liz King gerade an einem neuen Tanzabend arbeitet. Intendant Peter Stoltzenberg zieht die Tänzerinnen und Tänzer des Balletts immer häufiger zu fachfremder Arbeit in Oper und Schauspiel heran, wodurch sich die Probenzeiten für die eigene Arbeit drastisch reduzieren. Die Situation spitzt sich deshalb zu: Intendant Stoltzenberg ließ in Verhandlungen mit Kommunalpolitikern durchblicken, er müsse eben das Ballett fallen lassen, sollte die Stadt den Rotstift im Theater zu dick ansetzen.
Es wird vielleicht gar nicht mehr nötig sein: „Daß die künstlerische Eigenständigkeit meines Ensembles in Frage gestellt wird, kann man durchaus in größerem Zusammenhang sehen“, sagt Liz King. „Ich habe den Eindruck, daß jetzt in der finanziellen Krise die Entwicklung des deutschen Tanztheaters zu einem eigenständigen Kunstmedium wieder in Frage gestellt wird, und ich überlege mir, wo meine Vorstellungen von Tanz besser zu verwirklichen wären.“
In Heidelberg könnte es wie in Kassel und Bochum kommen, wo die Sparte Tanz ersatzlos gestrichen wurde; in Kassel mit dem pikanten Beigeschmack, daß Ballettchefin Krisztina Horvath sich vorsätzlich getäuscht fühlt und ihren Intendanten, Michael Leinert, wohl vor dem Arbeitsgericht wiedersehen wird. Krisztina Horvath wußte nach ihrer problemlosen Freiburger Zeit in der documenta- Stadt künstlerisch keineswegs immer zu überzeugen. Ihre jüngste Choreographie „Buster Keatons Spaziergang“, nach einem Einakter Federico Garcia Lorcas ist eine blutleere neoklassizistische Pflichtübung, die weder eigenständige Tanzbilder zeigt noch dem Rätsel von Buster Keatons stoischem Gesicht nachspürt.
Wenn man von Kassel aus in Richtung Ruhrpott fährt, kann man nach cirka 150 Kilometern in Bochum vor dem Waschraum einer ehemaligen Zeche haltmachen. Dort ist der neueste Tanzabend einer anderen wichtigen Choreographin zu sehen: „Zeche 2“ von Reinhild Hoffmann, die vor sechs Jahren zusammen mit Schauspielchef Frank-Patrick Steckel das Experiment einer Zusammenarbeit von Schauspiel und Tanz startete. Zur Befruchtung allerdings kam es nie; doch mußte Bochums Kulturdezernentin Ute Canaris mit dem Ende von Steckels Schauspieldirektion (in zwei Jahren wird Leander Haußmann die Bühne übernehmen) auch gleich das ganze Bochumer Tanztheater wegsäbeln?
Auch hier geht es offensichtlich um die Eliminierung des schwächsten Gliedes, für Reinhild Hoffmann spielt eine gute Portion Gedankenlosigkeit mit. „Der Tanz ist die flüchtigste Kunst im Theater und jede Choreographie eine Uraufführung, die nur solange lebt, wie wir sie zeigen können. Wenn es wie im Moment nur noch darum geht, ob die Kasse stimmt, hat solch eine Kunstform schlechte Karten, wobei in meinem Falle hinzu kommt, daß ich bewußt den Raum in der ehemaligen Zeche bespiele. Der ist zwar immer ausverkauft, hat aber eben nur hundert Sitzplätze.“ Über Reinhild Hoffmanns Fragilitäts-Choreographien und darüber, daß sie Exerzitien mit Hirschgeweihen und rituelle Waschungen auf die Bühne bringt, die des Betrachters Mythenmaschine anwerfen, läßt sich trefflich streiten. Unstrittig ist, daß sie sich auf einem schmalen Pfad bewegt, auf dem sie jegliches modisches Zugeständnis verweigert.
Mit dem Fallen des Vorhangs in Bochum ist auch der erste Akt im deutschen Rezessionsspiel zu Ende. Hinter dem Vorhang werden allerdings schon die Kulissen für den zweiten Akt geschoben, in der Gemengelage aus (teilweise) künstlerischer Atemnot, finanzpolitischen Zwängen und kulturpolitischem Dilettantismus dürfte es nur eine Frage der Zeit sein, bis der nächste kurzschlüssige Spartentod beschlossen wird. Wie es nach Kresniks Wechsel an die Berliner Volksbühne mit dem Bremer Tanztheater weitergeht, weiß niemand, und auch das Kölner Tanzforum mit seinem Leiter Jochen Ulrich scheint gefährdet, da die Stadt 16 Millionen im Theateretat sparen will. Der jetzige Schauspielchef und künftige Generalintendant, Günther Krämer, meint dagegen, maximal vier Millionen seien machbar.
Dann kommt er auf einen Punkt zu sprechen, der noch für Überraschungen in Köln sorgen könnte. „In meinem Vertrag sind Spielstätten, nicht aber Sparten festgeschrieben. Wenn die Stadt also eine Sparte schließen möchte, habe ich keine Möglichkeit, es zu verhindern. Im Moment herrscht in dieser Frage Windstille, und das macht mich unruhig.“ Jürgen Berger
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