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Amputation eines Amts

Was wird aus dem Bundesgesundheitsamt? Minister Seehofer will die Reorganisation der Behörde im Sauseschritt durchziehen. Die Chance zu einem Neuanfang mit einer verbrauchernahen und kompetenzgestärkten Gesundheitsbehörde wird so verspielt. Übrig bleiben vier Einzelinstitute am Tropf der Bonner Ministerialbürokratie.

Zumindest ein Versprechen hat Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) schon jetzt gebrochen. Seine forsche Ankündigung vor laufender Kamera, er werde die Präsidentenstelle des geschaßten BGA-Chefs Dieter Großklaus an den Haushaltsausschuß zurückgeben, war reine Stimmungsmache. Mit dem neuen Organisationsmodell für die Berliner Behörde muß Seehofer nicht nur einen, sondern gleich vier Präsidenten einsetzen. Es ist nicht der einzige Flop des bayerischen „Gesundheitsrambos“ (Report). Sein Konzept zur Reorganisation des Bundesgesundheitsamts stößt weithin auf Ablehnung. Die Reformbedürftigkeit der Behörde wird zwar von niemandem mehr in Frage gestellt, doch Seehofers Vorstellungen und vor allem die Art und Weise, wie er sie über die Köpfe der Beteiligten hinweg durchsetzen will, provozieren nur noch Kopfschütteln.

Bis heute hat es Seehofer nicht für nötig gefunden, mit den BGA- Mitarbeitern auch nur ein einziges Mal zu reden. Höhepunkt der Ignoranz: Seinen groß angekündigten Auftritt bei der letzten Personalversammlung sagte Seehofer kurzfristig ab, weil dort neben ihm auch der frühere BGA-Präsident Georges Fülgraff reden sollte. „Der verlangte von uns eine Fülgraff-freie Zone“, empören sich Mitglieder des Personalrats. (*) Den Auflösungsbeschluß und die wechselnden Pläne zur „Zerschlagung“ ihrer Behörde haben die Beamten jeweils aus der Zeitung erfahren. Eine offene Diskussion um die Zukunft der wichtigsten Bundesbehörde für Verbraucher- und Umweltschutz ist unmöglich. Nach wie vor gilt im BGA der von Seehofer verhängte strikte Maulkorb für alle Äußerungen zur Auflösung und Neustruktur.

Furcht vor Verlust an politischer Unabhängigkeit

Nur hinter vorgehaltener Hand reden einzelne Wissenschaftler und Mitarbeiter über ihre Vorstellungen eines neuen, anderen Bundesgesundheitsamts, träumen sie von einer schlagkräftigen modernen Verbraucherschutzbehörde wie die US-amerikanische „Food and Drug Administration“. Im eigenen Haus hat sich unterdessen eine Stimmung wie zu grauer Adenauer-Zeit breitgemacht. BGA-Vizepräsident Joachim Welz buckelt Richtung Bonn, die sechs Institutsleiter rangeln um die vier neuen Präsidenten-Stühle, und die Mitarbeiter warten wütend und paralysiert auf neue Zeitungsartikel. Werden sie künftig in Bonn oder in Berlin sitzen? Werden sie diesem oder jenem Institut einverleibt? Einzig die Institutsleiter werden gelegentlich nach Bonn bestellt und dort zu Detailfragen gehört. Die grobe Linie indes ist längst festgeklopft, „Modelle werden nicht mehr diskutiert“.

Inzwischen wächst die Kritik am CSU-Minister. „So leichtfertig und selbstherrlich ist bislang noch niemand mit dem Gesundheitswesen umgegangen“, notierte die FAZ nach Lektüre von Seehofers Gesetzentwurf zur Neuordnung des Amts. Ellis Huber, Präsident der Berliner Ärztekammer, der für Seehofers BGA-Auflösung noch kräftig Beifall klatschte, rügt das Konzept des Ministers als „fachlich unzureichend“. Die alten Abhängigkeiten des Amtes von der Bonner Ministerialbürokratie würden zementiert, die Krise noch verschärft. Auch die Ärzteorganisationen und wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften konnte der Minister nicht überzeugen: Die 88 Fachgesellschaften forderten ihn in einer Resolution auf, seinen Gesetzentwurf zurückzuziehen und sich statt dessen am US-Vorbild zu orientieren.

Doch Seehofer hält in seinem Referentenentwurf zum „Gesundheitseinrichtungen-Neuordnungsgesetz“ an seiner alten Idee fest. Das BGA soll aufgelöst und in vier Einzelinstitute überführt werden, die der Bonner Fachaufsicht unterstehen. Im einzelnen sind dies das

Institut für Arzneimittel. Es soll für die Zulassung und Überwachung aller Arzneimittel und Medizinprodukte zuständig sein;

Institut für Gesundheitsvorsorge und Epidemiologie. Das alte Robert-Koch-Institut soll sich, erweitert um das bisherige Institut für Sozialmedizin, um Krankheitsforschung, Medizinstatistik, Seuchen, Aids und Gentechnik kümmern;

Institut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin. Es vereinigt die bisherigen Max-von-Pettenkofer- und Robert-von-Ostertag-Institute und erhält die Zuständigkeit für die Lebensmittelüberwachung und den Verbraucherschutz, für Pestizide, Tierkrankheiten und Tierschutz;

Institut für Boden-, Wasser- und Lufthygiene. Es wird dem Umweltministerium unterstellt und soll Gefahrstoffe in Boden, Wasser und Luft analysieren, bewerten, Grenzwerte festlegen und für Lärmschutz zuständig sein.

Seehofer verspricht sich eine „höhere Eigenverantwortung und Effizienz“ vom neuen Modell der selbständigen Institute. Die Mitarbeiter des BGA befürchten das Gegenteil: den Verlust an politischer Unabhängigkeit durch die direkte Anbindung an die kurze Leine des Ministeriums. Daß Bonn schon jetzt immer wieder in das Amt hineinregiert und wissenschaftliche Erkenntnisse politisch kleinkocht, können die vielgescholtenen BGA-Beamten mit aktuellen Ereignissen belegen.

Beispiel Hühnereier-Erlaß: Wegen der Salmonellenkrise verlangte das BGA, daß Eier ab dem 10. Tag nach Legedatum grundsätzlich gekühlt aufbewahrt werden müssen. Entgegen des wissenschaftlichen Rats und entgegen des Vermehrungszyklus der Salmonellen beharrte Seehofers Ministerium viel zu lange darauf, die Eier erst ab dem 18. Tag kühlen zu lassen. Beispiel Rinderwahnsinn: Bereits im Juni schickten die BGA- Veterinäre ihrem Minister eine Expertise, in der sie wegen der Ansteckungsgefahren ein weitergehendes Verbot für die Einfuhr von britischem Rindfleisch verlangten. Vergeblich. Bis heute wurde die Expertise weder veröffentlicht noch in praktische Politik umgesetzt. Als der Agrarausschuß seinen Bericht zur Rinderseuche vorlegte, wurden die BGA-Warnungen totgeschwiegen.

Neuorganisation wird zum Wettlauf mit der Zeit

Ähnlich politisch motivierte Einflußnahmen, glauben die BGA- Mitarbeiter, würden sich häufen, wenn Bonn erst die direkte Fachaufsicht übernimmt: „Dann wird erst richtig industriefreundliche Politik gemacht.“ Mit Schrecken erinnern sie sich noch an die Ära Lehr oder Süssmuth. Wehe, das BGA wäre schon damals direkt den beiden hasenfüßigen Ministerinnen unterstellt gewesen.

Zudem wird befürchtet, daß durch die Aufsplitterung in Einzelinstitute die Gesamtschau auf die gesundheitspolitischen Probleme und die Kooperation der Institute gekappt wird. Seehofer ist, so scheint es, für solche Einwände nicht mehr zugänglich. Auf Kritik an seinem Konzept reagiert er mit zunehmender Aversion. Als sich vor Wochenfrist die Institutsleiter zusammensetzten und eine gemeinsame kritische Presseerklärung formulierten, kam es zum Eklat. Seehofer kassierte die Presseerklärung, die zur Absegnung nach Bonn geschickt worden war, verbot ihre Verbreitung und verwarnte die Verfasser.

Inzwischen wird die Neuorganisation des BGA auch zu einem Wettlauf mit der Zeit. In gewohntem Aktionismus hat Seehofer einen ungewöhnlich knappen Fahrplan aufgestellt, der die Neuorganisation schon bis zum Frühsommer 1994 durchsetzen soll. Strittig ist dabei noch, ob das Neuordnungsgesetz der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Seehofer sagt nein, einige Länder sehen das anders. Bremen und Hessen, so war in Bonn zu erfahren, wollen die Länderbeteiligung prüfen lassen. Im Bundesrat hätte der Seehofer- Entwurf keine Chance, die SPD favorisiert den Fülgraff-Vorschlag (siehe Beitrag unten).

Kritiker der Seehofer-Pläne hoffen unterdessen darauf, daß die Tage dieser Bundesregierung gezählt sind. Dann könnte die Niederlagenserie bei den nächsten Wahlen vielleicht das BGA retten. Manfred Kriener

* Wegen des Maulkorberlasses werden die Namen unserer Gesprächspartner nicht genannt – die Red.

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