: Daran gewöhnen, daß man weniger verdient
■ Interview mit Bernhard Wilpert, Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie in Berlin
taz: Herr Wilpert, bei der Frage der Umverteilung von Erwerbsarbeit und Teilzeitarbeit gibt es große Widerstände bei den Beschäftigten. Welche Rolle spielt die Erwerbsarbeit in unserer Gesellschaft?
Wilpert: Erwerbsarbeit ist der zentrale Mechanismus der Verteilung von Gütern, von Status, von Wohlstand und Einkommen. Wie unsere Untersuchungen in acht Industrieländern zeigen, ist Arbeit nach wie vor ein ganz zentraler Wert. Arbeit bedeutet Sinnstiftung. Daher laufen wir ja auch in eine mißliche Situation, wenn 15 bis 20 Prozent der Menschen arbeitslos werden. Wir müssen die Arbeit intelligenter und gerechter verteilen.
Frauen sind traditionell daran gewöhnt, ihre Erwerbsarbeit wegen der Familie zu reduzieren. Die männlichen Beschäftigten aber sehen darin keine Chance für einen anderen Lebensstil. Ist Erwerbsarbeit für Männer wichtiger?
In unseren Untersuchungen stellen wir fest, daß die Bedeutung von Arbeit bei Männern und Frauen nicht so sonderlich unterschiedlich ist. Es gibt sogar Kollegen, die zu dem Schluß kommen, daß Erwerbsarbeit bei Frauen eine sehr viel stärkere und sinnstiftendere Funktion hat als bei Männern.
Die überwiegend männlichen Beschäftigten betrachten eine Reduzierung der Arbeitszeit aber als Abstieg, wie das Beispiel VW zeigt.
Das ist eine Frage des Verzichts auf Einkommen. Dieser Verzicht muß meiner Meinung nach aber mit der Reduzierung der Arbeitszeit einhergehen. Man muß sich daran gewöhnen, daß man eben weniger verdient. Wir sind der Überzeugung, daß die Mehrheit der Bevölkerung auch bereit ist, Einschnitte im Lebensstandard hinzunehmen, vorausgesetzt, daß es zu einer gerechteren Verteilung der Arbeit kommt.
Die verringerte Arbeitszeit könnte ja auch neue Möglichkeiten der Alltagsgestaltung eröffnen.
Wenn die Arbeitszeit sagen wir auf 25 Stunden reduziert wird, bedeutet das im Zeitbudget der Menschen eine Ausweitung der nichterwerbstätigen Zeit. Die Frage, die sich dann stellt, ist: Was passiert in dieser Zeit? Ich glaube, daß der Sozialphilosoph Andre Gorz schon ganz richtig liegt, wenn er sagt, daß man das als Chance begreifen muß für eine „befreite“ Zeit, die von den Individuen selbstbestimmt gestaltet werden kann.
Könnte eine solche neue Orientierung auch die eingefahrene geschlechtsspezifische Aufteilung zwischen Erwerbsarbeit und Reproduktionsarbeit aufweichen?
Da bin ich optimistisch. Wir müssen das Konzept der Arbeit ausweiten, auf andere Bereiche übertragen. Reproduktionsarbeit wäre einer dieser Bereiche für eine Aufwertung. Ich glaube, eine besser verteilte Arbeitszeit erleichtert auch den Übergang zu Fragestellungen wie etwa jener nach der geschlechtsspezifischen Verteilung von Rollen außerhalb der Arbeit.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen