: Obwohl die Beschäftigungskrise eine generelle Reduzierung der Wochenarbeitszeit nahelegt, sind nur wenige Männer bereit, freiwillig ihr Arbeitspensum beim Chef zu verringern und Einkommenseinbußen hinzunehmen Von Barbara Dribbusch
Die Angst des Mannes vor der Teilzeitarbeit
Weniger zu arbeiten wird salonfähig in Deutschland. Arbeitsminister Norbert Blüm fordert eine „Teilzeitoffensive“, um mehr Jobs zu schaffen. Unternehmen wie Siemens, Schering, die Gewerkschaft Handel, Banken, Versicherungen (HBV) und der öffentliche Dienst bieten verstärkt Teilzeitarbeit auf freiwilliger Basis an, um Personalkosten zu sparen. Die Lippenbekenntnisse der männlichen Politiker und Gewerkschafter zur Teilzeitarbeit klingen fortschrittlich. In Wirklichkeit aber ziehen vor allem die männlichen Beschäftigten kaum mit. Denn die inneren Barrieren sind hoch, wie eine HBV-Gewerkschafterin unlängst feststellte: „Männer sind wie Wölfe. Und Teilzeitwölfe gibt es nicht.“
An der ablehnenden Haltung der Männer zur Teilzeitarbeit hat sich in den vergangenen zehn Jahren trotz öffentlicher Propaganda für „neue Väter“ und mehr Familienarbeit wenig geändert. 1983 arbeiteten von den sozialversicherungspflichtig beschäftigten Männern ein Prozent in Teilzeit, in diesem Jahr sind es gerade mal 1,6 Prozent. Bei den Frauen erhöhte sich der Anteil der Teilzeitbeschäftigten im gleichen Zeitraum dagegen von 20 auf 25 Prozent, so die West-Statistik der Bundesanstalt für Arbeit.
„Teilzeitarbeit gehört bei Männern nicht zur Normalerwartung“, erklärt der Arbeitszeitberater Andreas Hoff. Das Beispiel Schering: Schon seit 1984 bietet der Pharmakonzern seinen 10.000 Mitarbeitern in Deutschland an, freiwillig mit den Vorgesetzten individuelle Teilzeitlösungen auszuhandeln.
Das kann ein Halbtagsjob, aber auch eine nur um zehn oder 20 Prozent verringerte Arbeitszeit sein. Die magere Bilanz nach einem Jahrzehnt: 911 Mitarbeiter sind in Teilzeit tätig, darunter sind ganze 90 Männer.
„Machen wir uns nichts vor: Selbst wenn einer nur einen Tag weniger in der Woche arbeiten wollte, könnte es doch gegenüber dem Chef gleich so aussehen, als habe er sich eben für die Familie und nicht für das Unternehmen entschieden“, erklärt Dieter Reick. Der 50jährige Industriekaufmann und Betriebsrat bei Schering wählte aus gesundheitlichen Gründen eine um 20 Prozent verringerte Arbeitszeit.
Das dürfte sich auch für die Firma rechnen: Studien haben nachgewiesen, daß Teilzeitbeschäftigte während der Arbeitsstunden durchaus produktiver sein können als ihre Vollzeitkollegen.
Die meisten Kollegen von Reick aber winken ab, wenn die Rede auf Teilzeit kommt. Das Hauptargument ist das verringerte Einkommen – auch bei jenen besser bezahlten Angestellten, die gut auf einen Teil des Gehaltes verzichten könnten. „Viele Kollegen sagen, sie könnten es sich wegen der Familie finanziell gar nicht leisten, weniger Geld zu verdienen“, erzählt Reick, dessen Ehefrau vollzeitbeschäftigt ist. Je höher das Gefälle im Einkommen der Ehepartner, desto geringer die Chance, daß der Mann in Teilzeit wechselt. Die Schieflage im Einkommen der Lebenspartner entsteht in der Regel schon früh, nämlich dann, wenn die Lebenspartner Eltern werden. Die Sozialwissenschaftlerin Brigitte Stolz-Willig vom Forschungsinstitut WSI stellte fest, daß junge Frauen nach der Geburt eines Kindes zumeist ihre Arbeitszeit verringern, während bei jungen Männern die Bereitschaft zu zuschlagspflichtigen Überstunden und lukrativer Nacht- und Schichtarbeit steigt. Das übliche Resultat: Teilzeitarbeit entsteht gerade in den schlecht bezahlten „Frauen-Branchen“, während in den besser bezahlten Jobs „der ganze Mann“ gefordert wird. Im Einzelhandel arbeiten 20 Prozent, in den sozialpflegerischen Diensten 23 Prozent der Beschäftigten in Teilzeit, im westdeutschen Durchschnitt aller Anstellungsverhältnisse aber nur zwölf Prozent.
Im öffentlichen Dienst wurde aus Kostengründen auch bei besser bezahlten, qualifizierten Jobs Teilzeit eingeführt. Bei den angestellten Lehrkräften im Westen unterrichtet inzwischen schon jeder dritte in Teilzeit, darunter sind 25 Prozent Männer. Der hohe männliche Anteil hier ist kein Wunder: Diese Jobs sind gutbezahlt, sicher und bieten gute Rückkehrmöglichkeiten auf eine Vollzeittätigkeit.
Studienrat Günther Meyer aus Berlin zum Beispiel hat seine Arbeitszeit vermindert, als das erste Kind kam. „Wir sind auf den familiären Kurs eingeschwenkt“, erklärt der 43jährige Vater der fast zweijährigen Celina. Gegenwärtig unterrichtet der Studienrat an einer Gesamtschule zwölf Stunden in der Woche Sport und Gesellschaftskunde. Seine Frau arbeitet auf halber Stelle als zahnmedizinische Fachhelferin.
Mit seinem Nettogehalt von 2.500 Mark und dem Verdienst seiner Ehefrau kommen beide noch auf ein gutes Einkommen. „Man muß sich materiell ein bißchen reduzieren“, sagt Meyer. Aber der Verzicht ist durchaus zu verschmerzen: Früher fuhr das Paar mehrmals im Jahr in Urlaub, jetzt bleiben sie eben öfters zu Hause und reisen, wie vor der Geburt ihrer Tochter, auch nicht mehr unbedingt in die Karibik. Große Schritte in der Karriere erwartet sich Meyer nicht. „Dazu müßte ich in der Schulorganisation ohnehin stärker präsent sein.“
Auch in den Dienstleistungsberufen, die individuelle Zeitgestaltung ermöglichen, ist der Anteil der „Teilzeitmänner“ höher als anderswo. Der 29jährige Unternehmensberater Jan Kutscher beispielsweise arbeitet nur 30 Stunden in der Woche. Er und seine studierende Ehefrau leben von 3.300 Mark netto im Monat. Das Paar braucht kein Auto, eine kleine Zweizimmer-Mietwohnung für 560 Mark Miete reicht aus. Gemessen am Kriterium des Zeit-Wohlstands aber lebt Kutscher in geradezu snobistischen Verhältnissen. Von zwölf Uhr mittags bis 18 Uhr abends dauert sein regulärer Arbeitstag.
„Ich kann morgens lange ausschlafen und jeden Tag eine Stunde Oboe üben“, strahlt der routinierte Hobbymusiker, der in seiner Freizeit auch als Fachautor tätig ist.
Solche innere Zeitsouveränität ist die Ausnahme unter männlichen Arbeitnehmern in Deutschland. Das Image von Teilzeitarbeit aber könnte sich immerhin durch die Beschäftigungskrise verbessern. „Der Teilzeitwunsch wird von den Chefs viel wohlwollender als früher betrachtet“, sagt Schering-Betriebsrat Dieter Reick. „Da bricht vielleicht auch ein Damm weg. Die Leute fragen sich: Kann es denn nicht auch ein bißchen weniger sein?“
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