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Die Weltrevolution findet nicht mal in Neuruppin statt

■ Bei den Stichwahlen in Brandenburg verhinderte eine Parteienallianz PDS-Erfolge

Potsdam (taz) – Einer kam durch. In der Kreisstadt Neuruppin, vierzig Kilometer nordwestlich von Berlin, konnte auch die Stichwahl den Erfolg eines PDS-Mannes nicht verhindern. Obwohl Otto Theel (PDS) „nicht mehr die Weltrevolution“ versprach („wir haben unsere Ideale auch runtergeschraubt“, sagte er der Berliner Zeitung), setzte er sich klar gegen seinen Konkurrenten Harald Lemke durch. Eine ganz große Überraschung war das allerdings nicht, denn der Gegenkandidat des „lieben Otto“, der Geschäftsmann Lemke, war schließlich von 1978 bis 1988 SED- Bürgermeister von Neuruppin und auch danach nicht gerade ein Bürgerrechtler.

„Potsdam“ dagegen „ist noch nicht reif für einen PDS-Bürgermeister“, wertete Brandenburgs parteiloser Umweltminister Matthias Platzeck die Wahlniederlage der PDS in der Landeshauptstadt. Mit 45 Prozent der Stimmen wurde Rolf Kutzmutz (PDS) in der Stichwahl um den Potsdamer Oberbürgermeisterposten knapp zweiter, erzielte jedoch das gleiche Ergebnis wie im ersten Wahlgang vor zwei Wochen. Überrundet wurde er mit 54,9 Prozent vom bisherigen Oberbürgermeister und SPD-Kandidaten Horst Gramlich, der nach seinem 29-Prozent-Debakel in der ersten Runde nun von allen anderen Parteien unterstützt worden war. Stichwahlen mußten in den 85 Gemeinden und kreisfreien Städten abgehalten werden, in denen kein Kandidat im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erhalten hatte.

In der Potsdamer SPD-Parteizentrale wurde am Sonntag abend Gramlichs Wahlsieg mit großem Jubel gefeiert. „Die Bürger haben ihr demokratisches Verantwortungsbewußtsein unter Beweis gestellt“, verkündete der brandenburgische SPD-Chef Steffen Reiche und klopfte Gramlich mehrfach auf den Rücken. Die Sozialdemokraten hatten nach dem ersten Wahlgang, in dem Gramlich magere 29,5 Prozent erzielte, nicht mehr mit einem Sieg gerechnet. Um so euphorischer wurde die Niederlage von Kutzmutz auch national gefeiert. Die CDU bemühte ihren Generalsekretär Hintze zur Gratulationstour der Potsdamer Bürger, obgleich seine Partei nun ganz und gar nichts zu feiern hatte. Für die SPD bewiesen die Brandenburger WählerInnen „politische Reife“, und auch Bündnis 90/ Grüne äußerten sich erleichtert, daß der PDS-Vormarsch gestoppt wurde. Lediglich Gregor Gysi merkte bedauernd an, ein PDS-Bürgermeister wäre „ein Stück Normalität gewesen, das Deutschland ganz gut getan hätte“.

Auch in den anderen großen Städten siegten die Amtsinhaber deutlich gegen ihre PDS-Konkurrenz. In Cottbus Waldemar Kleinschmidt (CDU) mit 70 Prozent und in Brandenburg/Havel Helmut Schliesing (SPD) mit überraschenden 75 Prozent. Insgesamt stellt die PDS in Brandenburgs Kommunen jetzt 28 ehrenamtliche und zwei hauptamtliche Bürgermeister. (Außer in Neuruppin noch in Schulzendorf.) Nach der Kommunalwahl 1990 gab es noch über einhundert PDS-Bürgermeister.

Da Kommunalwahlen in hohem Maße Personenwahlen sind, kam es in etlichen Gemeinden zu Siegen parteiunabhängiger Kandidaten. So wird Altlandsberg, östlich von Berlin, künftig von dem indischen Einwanderer Ravindra Gujjula regiert, der sich extra für die Wahlen einbürgern ließ. In Strausberg, nordöstlich Berlins, wo früher das Oberkommando der Nationalen Volksarmee residierte, setzte sich der parteilose Bürgermeister Jürgen Schmitz durch, der im letzten Jahr aus der SPD ausgetreten war. Sogar die FDP schaffte es in einigen Städtchen, den Bürgermeisterposten zu erobern. Bündnis 90/ Grüne siegten im Nobelvorort Klein-Machnow, einer Villensiedlung zwischen Berlin und Potsdam. Rechtsradikale hatten nirgendwo in Brandenburg eine Chance, lediglich der Bundesvorsitzende der DSU, Alf Korn, gewann in Ortrand knapp gegen einen PDS-Kandidaten.

Trotz der Niederlage kam am Sonntag abend bei der PDS auch in Potsdam keine Katerstimmung auf. „Wir sind stolz auf Kutzmutz“, meinten die Genossinnen und Genossen einmütig. Der PDS-Chef Lothar Bisky war erbost. „Letzte Woche hat sich in Potsdam eine nationale Front gegen Kutzmutz breitgemacht, die die Bürger stark verunsichert hat.“

Die Anti-Kutzmutz-Allianz aus SPD, CDU und Bündnis 90/ Die Grünen hatte vor der Stichwahl „den PDS-Teufel“ buchstäblich an die Wand gemalt. Investoren würden ausbleiben, wurde angekündigt. Die demokratische Kultur würde mit einem PDS-Chef niedergehen. Der Wahlkampf zeigte Folgen: Der Allianz war es gelungen, ihre Wählerinnen und Wähler erneut zum Urnengang zu mobilisieren und vom gemeinsamen Kandidaten Gramlich zu überzeugen. Die Wahlbeteiligung in Potsdam lag mit gut 60 Prozent knapp über dem Niveau der Kommunalwahl vom 5. Dezember.

Der Wahlsieger Gramlich gestand gestern in Potsdam, in den letzten Jahren Fehler gemacht zu haben. „Wir werden daraus Lehren ziehen und Korrekturen vornehmen.“ Als ersten Schritt will Gramlich das Rathaus „bürgernah gestalten“. Weiter kündigte er an, Koalitionsgespräche mit allen Parteien und Bündnissen führen zu wollen. Der SPD-Mann weiß, daß er ohne das Parteienbündnis den Sprung in das Amt nicht geschafft hätte. „Eine formelle Bindung an die PDS wird es nicht geben“, fügte Gramlich hinzu. Trotzdem will er „sachbezogen mit der PDS-Opposition“ zusammenarbeiten.

Kutzmutz hingegen erklärte sich zur Koalition mit der SPD bereit. „Erfolgreiche Kommunalpolitik ist parteiübergreifend“, sagte er gestern. Der PDS-Mann kündigte an: „Wir werden als stärkste Opposition einigen Dezernenten gehörig kalte Füße machen.“ Anja Sprogies

Kommentar Seite 10

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