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Polstermöbel im Grünen

Vorgeschmack aufs Paradies: „Die Gärten des Islam“ Eine Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt  ■ Von Dorothee Wenner

Das Ärgernis gleicht dem der überall aus dem Boden sprießenden Bistros, ist nur älter. Genau wie jene ungastliche Mischung aus Imbiß und Café verhält es sich seit einigen Jahrzehnten mit fast allen Parks, die hierzulande neu angelegt wurden. Hier wie dort wird der Passant zunächst freundlich angelockt, doch schon nach wenigen Minuten flüstert ihm die (Stadt)möblierung zu, daß man an diesem Ort nicht unnötig lange sitzen bleiben soll. Im Sommer jedoch lassen sich immer wieder Szenen beobachten, wo es insbesondere türkischen Großfamilien gelingt, den Fluch der Unrast zu brechen. Auf dem legendären Oranienplatz in Kreuzberg zum Beispiel gibt es eine wegen ihrer Häßlichkeit ins Auge stechende Mittelinsel mit räudigem Rasen, Waschbetonkübeln und einer sogenannten strapazierfähigen Bepflanzung. Wenn dort bei entsprechender Witterung bunte Decken und andere Campingutensilien ausgebreitet werden, beobachten von der gegenüberliegenden Bushaltestelle die Wartenden das Geschehen nicht ohne Neid. Die bewundernswerte Fähigkeit, sich Grünflächen selbst unter härtesten Bedingungen für ein paar Mußestunden anzueignen, ist vielleicht deswegen so ausgeprägt, weil das Verweilen im Garten in islamischen Kulturen viel traditionsreicher ist als im Westen. Um die Ursprünge und luxuriösen Besonderheiten der Parkgestaltung und -nutzung in muslimischen Ländern, vom Pandschab bis nach Java und Somalia, geht es in der Ausstellung „Die Gärten des Islam“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt.

„Die Perser“, beobachtete der französische Maler Jean-Baptiste Chardin Ende des 17. Jahrhunderts, „lustwandeln nicht wie wir in ihren Gärten, sondern begnügen sich damit, ihr Besitztum anzuschauen und die gute Luft einzuatmen. Wenn sie in ihren Garten kommen, lassen sie sich stets am gleichen Ort nieder und rühren sich nicht mehr von der Stelle, bis sie den Garten wieder verlassen.“ Beim Gang durch die Berliner Ausstellung, die in ihrer geometrischen Beetanordnung der Exponate einen islamischen Garten nachempfindet, sollte man nach Möglichkeit versuchen, diese eher seßhaften Konventionen des Parkaufenthalts zu imitieren.

Konditioniert durch den beständigen Wechsel von Perspektiven der Sichtachsen bei Spaziergängen beispielsweise durch die Lennéschen Parklandschaften in und um Berlin, gerät man andernfalls leicht in Gefahr, an den eigentlichen Sehenswürdigkeiten vorbeizulaufen. Die filigranen, über und über mit Blumen und Blättern verzierten Holzfassaden aus Pakistan, die blau-grünen Fliesen aus den Gräbern von Moghulkaisern und Kokosrapseln aus Tansania haben kaum eine Fernwirkung. Ganz nah muß man herangehen, um die handwerkliche Akribie zu bestaunen und den Drang, alles zu schmücken und mit Tulpenkelchen oder Narzissensternchen die profane Nützlichkeit einzelner Gegenstände aufzuheben. Selbst komplizierteste Strickanleitungen wirken überschaubar gegen die Goldfaden-Stickereien von Bettbehängen aus Aceh, mit mannigfachen Vögelchen und Blütenstauden auf jedem Quadratzentimeter.

Dahinter steckt die Antriebskraft einer Religion, die – vielmehr als die christliche – ihren Anhängern schon auf Erden die Wonnen des Paradieses schmackhaft werden läßt. Im krassen Gegensatz zu den weißgetünchten, protestantischen Gotteshäusern ist es ein explizites Anliegen von Moscheen, die Verheißungen des Jenseits den Gläubigen vor Augen zu führen. Ähnlich dem biblischen Garten Eden ist der islamische Garten, quasi als Steigerungsform der Moschee, das gebräuchlichste Sinnbild fürs Paradies. An 130 Stellen beschreibt der Koran ziemlich präzise, wie es dort aussehen mag: „...und er (Gott) vergalt ihnen dafür, daß sie geduldig waren, mit einem Garten und (Kleidern) aus Seide. / Sie liegen nun darin (behaglich) auf Ruhebetten und erleben darin weder Sonnenhitze noch Kälte. / Die Schatten reichen tief auf sie herab, und seine Früchte sind ganz leicht zu greifen...“

Indes, ganz so leicht sind die Granatäpfel im winterlichen Berlin nicht zu greifen. Die Ausstellungsmacher haben die Theorie der islamischen Gartenkunst zwar redlich studiert, und die Metaphorik reicht tiefgründig von der badezimmergrünen Wandbetünchung bis hin zu den multiethnischen Ausstellungsstücken. In der Mehrzahl verweisen „Die Gärten des Islam“ nämlich auch auf die vielen Gesichter und Erscheinungsformen, die, vom Zentrum Mekka aus gesehen, die Religion in den Regionen an der Peripherie entwickelt hat. Im Palast des Sultans von Yogjakarta in Südostasien zum Beispiel erinnert nur wenig an die unerbittlich-kriegerischen Gesetzlichkeiten, die allen voran Peter Scholl-Latour als gefährliche Eigenart des Islam nicht müde wird zu predigen. Mit den Schattenspiel-Puppen aus Java, goldverzierten Pantöffelchen oder Betelbestecken verweisen die Ausstellungsstücke aus Indonesien auf die mystischen, animistischen Einflüsse, die den Islam in den verschiedenen Ländern auf eine sehr sinnenfreudige Weise transformiert haben.

Diese Wandelbarkeit ist auf einer sehr materiellen Ebene auch ein Leitfaden der Ausstellung. „Die Gärten des Islam“ zeichnen sich durch eine völlig unkomplizierte Metamorphose von der künstlichen zur lebendigen Blume aus, leider nur in eine Richtung: Lotus, Rose, Tulpe und Palmen werden aus Holz geschnitzt, in Marmor gehauen und in Seide gewebt. Diese fließenden Übergänge sind eine Eigenart des islamischen Gartens, und entsprechend ausgeprägt ist die Neigung, den Garten in ein floral dominiertes Wohnzimmer mit allen Bequemlichkeiten zu verwandeln. Auf den Miniaturen läßt sich kaum eine Personengruppe finden, die nicht auf reich bestickten Kissen lümmelt und das exotische Ambiente von Polstermöbeln im Grünen zu genießen weiß. Dementsprechend wurden viele Blumenbeete versenkt angelegt, um den Eindruck eines ebenerdigen (Blüten)Teppichs oder dicken (Blüten)Kissens zu vermitteln. Von dort ist es dann nur ein winziger, interdisziplinärer Sprung zu den Wandbehängen, die sogar im Berliner Winter blühen.

Ein Höhepunkt der Ausstellung ist der weiß-marmorne Gartenpavillon aus dem Pandschab der Moghulzeit. Das Importstück ist zeitlich und geographisch mit dem berühmtem Shalimar-Garten von Lahore verwandt, dem ein Parfümhersteller nicht ohne Grund seinen Namen klaute. In den Mauernischen der Gartenterrassen waren dort einst Porzellanfläschchen mit Duftessenzen versteckt. Das wäre eigentlich eine schöne Anregung für die Berliner Ausstellung gewesen, in der es eher nach nassen Wintermänteln als nach Jasmin und Sandelholz riecht. Wenn diese sinnliche Vorstellungshilfe trotz massenhafter Verbreitung von Aroma-Therapien zu kostspielig geworden wäre, ist es dennoch schade, daß niemand auf die Idee gekommen ist, diese Gartenausstellung mit auch nur einer einzigen echten Pflanze zu bestücken. Aber die Berliner stehen eben auf Mini-Tannenbäume mit Saugnapfhalterung für Auto, Bus und Truck zu 5,99 DM bei Bilka.

Die Ausstellung ist bis 4.4., Dienstag bis Sonntag, im Berliner Haus der Kulturen der Welt zu sehen. Der Katalog kostet 49 DM.

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