piwik no script img

Warum laufen sie Amok, die Amokläufer?

■ Wissenschaftler wollen es wissen

Der Mann in der Eckkneipe saß mehrere Stunden am Tisch und führte Selbstgespräche. Dann schrie der 37jährige plötzlich wild auf, zog eine Pistole und richtete unter den Gästen ein Blutbad an. So geschehen am 1. September 1993, Dortmund zum Beispiel. Was heißt: „Amokschütze“? Warum tat der Mann das? Gibt es ein Motiv?

„Der Kenntnisstand über Amoklauf ist noch unbefriedigend. Es ist schwierig herauszubekommen, warum Menschen scheinbar wahllos andere töten“, sagt der Psychologe an der Psychiatrischen Klinik der Universität Göttingen, Dr. Lothar Adler.

Adler hat rund 200 deutsche Pressemeldungen über Amokläufer analysiert, um herauszufinden, ob es bestimmte Risikokonstellationen gibt, und ob dieser Täterkreis durch sozio-biographische oder psychische Besonderheiten zu charakterisieren ist. Er fand bestimmte „Typen“, die durch besonders gefährliche Amokläufe herausragen. „Dazu gehören an erster Stelle gehemmt-aggressive Waffennarren, Polizisten, Soldaten und bei der Mutter lebende Einzelgänger“, schreibt der Wissenschaftler in der im Georg-Thieme-Verlag (Stuttgart) erscheinenden Zeitschrift „Fortschritte der Neurologie Psychatrie“.

Erschwert würden seine Untersuchungen, weil ein Teil der Amokläufer tot im Kugelhagel von Polizisten zusammenbreche, schwer verletzt werde oder im Gefängnis lande. Fast jeder fünfte Amokläufer bringt sich selbst um. Bei etwa der Hälfte der untersuchten Fälle liegen Indizien für schwerwiegende psychische Störungen der Täter vor. Amok gegen Fremde, meint Adler, werde zumeist von jüngeren psychisch auffälligen Tätern begangen. Die Zahl der Todesopfer sei gering, die der Verletzten hoch. Ganz anders verliefen dagegen Amokläufe gegen die Familie. Die Täter seien psychisch eher unauffällig, doch sie töteten gezielt. Nur selten gebe es Verletzte. In 80 Prozent der Fälle brächten sich die Täter danach ebenfalls um.

Gerade die Gewalttäter, die zuerst Familienangehörige, aber dann auch Freunde und Bekannte angreifen, seien besonders unberechenbar und deshalb gefährlich, fand Adler heraus.

Werner H.T. Fuhrmann/dpa

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen