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Leben wie im Gefängnis

■ Gespräch mit Paramjit Singh, einem Flüchtling aus Indien, der seit über drei Monaten am Frankfurter Rhein-Main-Flughafen "exterritorial" festgehalten wird

Paramjit Singh, ein 33jährige Inder, gehört der verfolgten Religionsgemeinschaft der Sikh an, die in Indien einen eigenen Staat errichten wollen. Die Asylverfahren dauern am Flughafen durchschnittlich nur noch drei bis vier Tage. Paramjit Singh lebt jedoch schon seit dem 27. September in der „Flüchtlingsunterkunft innerhalb des Transitbereichs“ (offizielle BGS-Bezeichnung). Weder darf er in Deutschland einreisen, noch kann er in sein Heimatland zurück. Sein Asylantrag wurde wenige Tage nach seiner Ankunft in Frankfurt abgelehnt. Die indischen Behörden nehmen niemanden wieder zurück, der keinen Paß vorweisen kann. Fast drei Monate lebt er nun unter gefängnisähnlichen Bedingungen. Eine trauriger Rekord.

taz: Herr Singh, wie sind Sie aus dem Punjab geflüchtet?

Paramjit Singh: Über eine Schlepperorganisation. Ich habe mein erspartes Geld, das ich in meinem Lebensmittelladen verdient habe, dafür aufgewendet, daß ich nach Europa kommen konnte. Die All India Sikh Student Federation (AISSF) hat einen Teil des Fluggeldes mitfinanziert.

Was hat man Ihnen abverlangt für die Flugreise?

Umgerechnet in Deutsche Mark waren es etwas über 8.000. Es war so teuer, weil mir gesagt wurde, ich hätte nur eine Chance, als Flüchtling anerkannt zu werden, wenn ich einen Direktflug buchen ließe.

Deutschland hat die Einreisebedingungen für Asylsuchende drastisch verschärft. Nur noch ein verschwindend kleiner Protzentsatz der Menschen, die vor Verfolgung geflohen sind, kann auf eine Anerkennung als Flüchtling hoffen. Hat man Ihnen über die gesetzliche Lage in Deutschland nichts berichtet? Warum mußte es der Frankfurter Flughafen als Zielort sein?

Ich bin über die schwierige Situation für Flüchtlinge hier informiert worden, aber meine einzige Hoffnung war, nach Europa zu kommen. In den indischen Nachbarstaaten ist es zwecklos, Asyl zu beantragen. Indien stempelt uns als Terroristen ab. Außerdem gelten wir als religiöse Abtrünnige. Für uns gibt es keine Rechte. Warum ich ausgerechnet nach Frankfurt wollte, hat eigentlich einen einfachen Grund: Es war die billigste Direktverbindung, die mir die Schlepper nach Europa anbieten konnten.

Ihr Geburtsort ist Hoshiarpur in der Punjab-Region. Hier hat die indische Gemeinde der Sikh ihre größte Anhängerschaft. Der indische Staat löst mit brutalen Methoden Versammlungen auf und foltert Aktivisten der AISSF, der Sie als Mitglied angehören. Hätte es in Indien noch eine Möglichkeit für Sie gegeben, unterzutauchen?

Nein. Der indische Polizeiapparat ist sehr gut organisiert und ausgerüstet. Wo immer ich mich umgesehen hätte für eine illegale Bleibe, ich wäre sicher schnell aufgeflogen. Wir Sikh sind unter den anderen Indern nicht gern gesehen, weil sie uns als Terroristen betrachten. Ich wäre bestimmt denunziert worden. Und im Punjab sind indische Polizisten an jeder Straßenecke, prügeln Passanten, die sie kontrollieren, mit Schlagstöcken, verhaften unschuldige Zivilisten und ermorden Familienangehörige von Sikh-Oppositionellen. Ich habe meinen Bruder verloren. Mich haben sie zweimal für insgesamt einen Monat ins Gefängnis gesteckt und über die AISSF ausgefragt. Ich habe mich naiv gestellt. Ich hatte sehr viel Glück. Noch einmal wollte ich nicht verhaftet werden. Aber in dieser Unterkunft ist es manchmal genauso schlimm wie im Gefängnis. Oft fühle ich mich, als wäre ich nie aus Indien herausgekommen. Manchmal denke ich, ich werde verrückt.

Ihr Anwalt versucht, einen Antrag auf „menschenwürdige Unterbringung“ durchzusetzen. Eine Verfassungsbeschwerde über die Ablehnung Ihres Asylverfahrens ist nicht zugelassen worden. Wenn der BGS von Indien einen Paß besorgt, werden Sie ausgewiesen. Denken Sie manchmal an das, was Ihnen dann passieren könnte?

Viel darüber nachzudenken brauche ich nicht. Ich weiß, was die Polizei in Indien mit mir machen wird. Sie wird glauben, ich habe bei den Vernehmungen nicht alles erzählt, und auch mich foltern. Auf mich wartet der sichere Tod. Ich kann ihn mir nur anders wählen, indem ich mich selbst umbringe. Interview: Franco Foraci

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