: Soweto – Megastadt, Slum, Pulverfaß
Wie können die schwarzen, farbigen, weißen Metropolen Südafrikas zusammenwachsen? / Allein in Soweto leben zwei bis drei Millionen Menschen, und jeden Tag entstehen weitere Siedlungen ■ Von Dominic Johnson
Wie viele Menschen leben in Soweto? Das riesige schwarze Township bei Südafrikas Metropole Johannesburg gilt weltweit als Inbegriff der Apartheid. Die matchbox houses, die streichholzschachtelartigen Häuschen, die sich hier über Kilometer erstrecken – das brachte der Weltöffentlichkeit zum ersten Mal die Realität des südafrikanischen Systems nahe. Wie viele sind es aber, die darin leben? Einst waren es zwei Millionen. Heute sprechen manche schon von vier, wenn nicht gar sechs. Die Schätzungen pendeln sich bei zweieinhalb bis drei Millionen ein. In jedem Fall: eine Megastadt, größer als viele afrikanische und europäische Hauptstädte, in der es kaum einen Laden oder eine Kneipe gibt – Schlafstadt und Pulverfaß zugleich.
Wenn Soweto niest, ist Südafrika krank. Die Flammenrevolte der Schulkinder 1976 war das Fanal für das Ende der Apartheid. Das South Western Native Township, dessen Acronym inzwischen offizieller Name ist, machte jede Wendung in der Agonie des Systems mit: die Aufstände in der Mitte der achtziger Jahre, den Ausnahmezustand mit seinen zahlreichen Armeerazzien und Abriegelungen, die Kriege zwischen ANC-Townshipbewohnern und Inkatha-Wanderarbeitern, die Massaker mit Maschinengewehren in den Vorortzügen, die verbrannten Schulen und verkohlten Häuser – und die Geburt einer schwarzen Mittelklasse, die sich jetzt anschickt, nach den ersten freien Wahlen im nächsten April in Südafrika die Staatsgeschäfte zu übernehmen.
Aber was ist Soweto? Ist es die Endlosigkeit der immer gleichen Häuserreihen, wo die Großfamilien aus ihren winzigen Unterkünften hinaus in den Staub auf den Straßen quellen, kilometerweit von den nächsten Annehmlichkeiten entfernt und doch voller Leben? Ist es die gelegentliche Überraschung von eleganten weißgestrichenen Villen mit Rosengärten und Metallzäunen, in denen beileibe nicht nur ANC-Funktionäre wohnen und die einzelnen Ecken allmählich ein seltsam vertraut-europäisches Gesicht verleihen? Ist es die Weite der unbesiedelten Leerflächen von Brachland zwischen den verschiedenen zusammenhanglosen Teilen des Townships, von wo aus jedes Stadtviertel gleich weit entfernt aussieht und die Orientierung verlorengeht? Ist es die unvermittelte Plötzlichkeit monströser Ziegel- und Betonbauten, in denen hier das angeblich „größte Krankenhaus der südlichen Halbkugel“ und dort eine Unzahl kleiner Gemeinschaftsinitiativen, Kirchen und Selbsthilfegruppen zu finden sind? Ist es die schier uferlose Ausdehnung immer neuer Slums, die in die Weite der Savanne hinauswuchern, wo der Sand röter wird und das Leben mühsamer?
„Jeden Tag wachsen hier neue Siedlungen aus dem Boden“, seufzt Isaac Mogase, Präsident der Bürgervereinigung von Soweto, die in Abwesenheit einer funktionierenden Kommunalverwaltung das Township zu verwalten versucht. Auch er, der wohl angesehenste Lokalpolitiker Sowetos, hat keinen rechten Überblick über diese Stadt, die keine ist, die nur als Negativum der richtigen Stadt Johannesburg existiert, deren Existenzberechtigung theoretisch mit dem Ende der Apartheid erlöscht und deren Bewohner aber weiterleben müssen, irgendwie.
In Snake Park, Auswuchs des eher eleganten Sowetoer Stadtteils Dobsonville, stehen Wellblechhütten unter Stromleitungen. Auf breiten Sandpisten wirbelt Staub, der bei den häufigen Gewittern zu Schlamm wird. Snake Park ist kein richtiger Stadtteil, sondern eine wilde Siedlung, wo die weiße Reißbrettordnung nicht voll durchgreift. Unfertig und voller elender Provisorien ist Snake Park unter Sowetos vielen squatter camps dennoch eine eher gehobene Angelegenheit. Die Hütten stehen relativ regelmäßig nebeneinander; ab und zu ist sogar ein solides Steinhaus zu sehen.
In einem kleinen Ziegelbau, der offenbar als Kern für noch unfertige Anbauten dienen soll, wohnt Rose mit ihrem Mann, ihrer dreijährigen Tochter Balise („Blume“) und diversen Verwandten. „Wir kamen im Jahr 1989 aus Dobsonville hierher“, erzählt sie. „Es gab zu viele Leute in unserem Haus, also gingen wir weg. Die Behörden sagten uns, daß sie hier Land zur Verfügung stellen – also kamen wir her.“
Rose und ihre Familie waren nicht arm. Sie suchten nur nach einem größeren Wohnraum. „Wir haben das Haus mit unserem eigenen Geld gebaut“, sagt Rose. „Zu einer Bank sind wir nicht gegangen.“ Das winzige Wohnzimmer ist voll: ein großer Fernseher in der einen Ecke, eine Stereoanlage in der anderen, dazwischen eine neue, noch nicht einmal ausgepackte Polstergarnitur. An der Wand hängt ein kleines Schild: Bless This House.
Roses Haus wird immer größer, und darauf ist die ganze Familie stolz. Wenn einer das Dach ausbaut, schauen die anderen beglückt zu. Es gibt viele Migranten wie sie in Soweto, wie überhaupt in ganz Südafrika. Ihre Herkunft ist verschieden: Wanderer aus den Homelands, die nach der Aufhebung der Rassentrennung in die Städte ziehen; sie haben zumeist irgendwo noch eine Hütte mit Familie und suchen als Vorhut in den Townships nach neuen Überlebensmöglichkeiten. Oft sind es aber auch einfach – wie Rose – Angehörige von Familien, deren bestehende Township-Häuser zu klein geworden sind.
In den frühen achtziger Jahren – die Zeit, aus der die letzten verläßlichen Angaben stammen – gab es in Soweto 115.000 feste Häuser, eben jene matchbox houses, mit einer Durchschnittsbelegung von zehn Personen. Weiter gab es 70.000 Wanderarbeiter in Heimen und 23.000 Familien in squatter camps. Die Zahl der squatters hat sich seitdem beträchtlich vermehrt. Landesweit sind mehrere Millionen Menschen in solchen informellen Spontansiedlungen untergebracht – ein typisches Dritte- Welt-Phänomen. Südafrikanische squatters sind jedoch in einer besonderen, durch die Apartheid geprägten Situation: Snake Park, wie viele andere squatter camps in Südafrika auch, ist sozusagen ausgewiesenes Bauland. Der Staat steckt ein unbewohntes Gebiet ab, stellt Strom und Kanalisation zur Verfügung, und dann kann sich jeder, der will, dort niederlassen.
Viele belassen es bei improvisierten Blechkonstruktionen. Wer ein richtiges Haus bauen will, läßt seinen Bauplan von den Verwaltungsinspektoren genehmigen und legt dann los. Serviced sites, Gelände mit Grundversorgung, heißen diese Gebiete, in denen südafrikanische Wohnungssuchende ihre eigenen Behausungen errichten dürfen.
Die serviced sites-Politik ist Teil der Geschichte der Apartheid. Die Politik südafrikanischer Weißer, Schwarze von sich fernzuhalten, hat viel mit fast archaisch anmutenden Berührungs- und Infizierungsängsten zu tun: Der fremde Schwarze, der ja oft auch arm und krank ist, soll das traute weiße Leben sowenig stören wie möglich, ohne aber als Arbeitskraft verlorenzugehen. Die erste schwarze Siedlung auf dem heutigen Stadtgebiet von Soweto, Klipspruit, entstand 1904, als die sogenannte coolie location in Johannesburg aus „hygienischen“ Gründen abgerissen wurde. Als „Sanierungsmaßnahme“ beschloß die Stadtverwaltung von Johannesburg dann im Jahre 1937, alle Schwarzen aus der weißen Stadt in die bestehenden schwarzen Vororte Sophiatown und Alexandra sowie in neugebaute Townships wie Orlando im heutigen Soweto auszusiedeln.
Als in den fünfziger Jahren ganz Südafrika in weiße, farbige, indische und schwarze Zonen aufgeteilt wurde, baute man das South Western Native Township zielstrebig aus. Später wurde der staatliche Wohnungsbau für Schwarze weitgehend eingestellt, während gleichzeitig Hauseigentum für Schwarze – also auch für diejenigen, die schon länger in Soweto wohnten – verboten wurde. Als Soweto 1973 förmlich aus Johannesburg ausgegliedert wurde, war es eine Stadt, die den düstersten Modellen des Staatssozialismus entsprach: niemand durfte sein Haus besitzen, und es gab viel zuwenig Häuser.
Obwohl Südafrikas Schwarze dreimal so zahlreich sind wie die Weißen, gab es 1986 im ganzen Land dreimal so viele „weiße“ wie „schwarze“ Wohneinheiten, und noch heute schätzt die Regierung den Mangel an schwarzem Wohnraum auf bis zu zwei Millionen Häusern.
Die serviced sites-Politik erscheint damit als liberale Wende aus den Fesseln der Zwangsmangelwirtschaft namens Apartheid. Wohnungslose schwarze Südafrikaner erfüllen sich dort nach Regierungsvorstellung den Traum vom Eigenheim – eine Politik ganz nach dem Geschmack der neuen Generation in der regierenden Nationalpartei, die in den achtziger Jahren auf die Gewährung marktwirtschaftlicher Möglichkeiten auf kleiner Ebene für die Schwarzen als Ersatz für politische Mitbestimmung glaubte. Dieselbe Partei, die zuvor massenhafte Vertreibungen und Zwangsenteignungen durchgeführt hatte, wollte nun plötzlich Südafrika zu einer „Nation von Eigentümern“ machen. Wie alles im schwarzen Südafrika sind natürlich auch die serviced sites knapp. Wer dahin gelangt, ist schon ein bißchen privilegiert. Sie sind ein Stück Sicherheit in einer unsicheren Zeit: Ihre Bewohner müssen nicht befürchten, wieder verjagt zu werden. Ihre Häuser sind ihr Eigentum, ihre Grundstücke sind anerkannt. Dennoch: Möglich ist das nur, wenn der Staat unbegrenzten Zugriff auf „schwarzes“ Land hat und somit ohne vorherigen Landkauf neue Wohngebiete ausweisen kann. Die serviced sites sind damit Teil der Apartheid.
Aber was dem einen als liberale Politik der Eigentumsförderung erscheinen kann, gilt dem anderen als Zementierung der offiziell überwundenen Rassentrennung. In Kapstadt, wo mehrere hunderttausend Menschen aller Rassen Wohnraum suchen, baut der Staat durchaus Sozialwohnungen – aber nur für Inder und „Farbige“ (Mischlinge). Und die Schwarzen, denen es unter der Apartheid nicht erlaubt war, in denselben Stadtgebieten wie Inder und Mischlinge zu leben, protestieren.
320 fertige Häuser in Tafelsig, einem Viertel des in den sechziger Jahren für „Farbige“ gebauten Vororts Mitchells Plain, wurden Ende Oktober von wohnungslosen Schwarzen aus dem benachbarten, aus allen Nähten platzenden Township Khayelitsha besetzt – und die Stadt am Kap mit dem liberalen Selbstverständnis sah sich mit ganz ungewohnten Problemen konfrontiert.
„Die Wohnungspolitik läuft hier immer noch auf rassischer Basis“, erklärt Neil Ross, Vorsitzender des Wohnungsbaukomitees der Kapstädter Stadtverwaltung und Mitglied der liberalen „Demokratischen Partei“ (DP). Jahrzehntelang war der legale Zuzug nach Kapstadt für Schwarze verboten, Inder und Farbige erhielten bei der Arbeitsplatzvergabe den Vorzug, so daß diese heute die Mehrheit der Stadtbevölkerung bilden. Gleichzeitig wurden viele Inder aus ihren angestammten Wohnvierteln vertrieben, als das Stadtzentrum 1965 vollständig zu einem „weißen“ Bezirk erklärt wurde. Sie verloren ihre Häuser und waren auf den Staat für neue Wohnungen angewiesen. Das hieß: Der soziale Wohnungsbau der Stadt kam und kommt nur Indern und Farbigen zugute – Weiße hatten ohnehin genug Wohnraum.
Zur Zeit, sagt Neil Ross, stehen 42.000 Familien – das sind etwa 250.000 Personen – auf der Warteliste für eine Kapstädter Sozialwohnung. In diesem Jahr seien 1.500 solche Wohnungen für Bezieher niedriger Einkommen (weniger als 600 DM pro Monat und Familie) gebaut worden. Dort könnten jetzt Leute einziehen, die seit 1984 auf der Warteliste stehen. Nun kämen statt dessen obdachlose Schwarze an – und das ginge nicht. „Wir können nicht Leute belohnen, die das Gesetz in die eigenen Hände nehmen“, schimpft Ross und beschwört „die Gefahr, daß sich die Sache entlang rassischer Linien polarisiert“.
Neil Ross schimpft im Glaskasten. Er sitzt in einem feinen, getäfelten Büro im Civic Centre, dem Rathaus von Kapstadt – ein monströses Betonlabyrinth mit vielen Aufzügen, winzigen versteckten Eingängen und unübersichtlichen Treppenhäusern, umgeben von öden Freiflächen, über die die Antarktiswinde pfeifen. Es ist eine menschenverachtende Konstruktion, gegen die selbst der Palast der Republik auf dem einstigen Ostberliner Marx-Engels-Platz wie eine niedliche Gartenlaube erscheint. Die Besetzer von Tafelsig ließen sich davon nicht abschrecken: Am 8. November marschierte eine Abordnung von ihnen in das Rathaus, nahm den Fahrstuhl in den fünften Stock, ließ sich in Neil Ross' Büro nieder und ging nicht mehr weg.
Sie protestierten gegen die ihrer Meinung nach unzumutbaren Alternativen, die man ihnen angeboten hatte: serviced sites auf einer Fläche von sechs Hektar, in denen es nur einen Wasserhahn für jeweils drei Häuser geben soll und eine Toilette für jeweils sechs sowie einen Baukredit von 800 Rand (400 Mark) pro Familie. Die Besetzer hatten gerade einer Ratssitzung beigewohnt, auf der David LeRoux von der Westkap-Provinzverwaltung dummerweise behauptet hatte, irgendwo seien noch 72 Millionen Rand zum Hausbau für Schwarze übrig, die aber derzeit wegen Kompetenzstreitigkeiten nicht ausgegeben werden könnten.
Die Bemerkung war nicht nur dumm, sondern auch falsch. Denn noch sind Schwarze in den geltenden Kommunalstrukturen Südafrikas nicht vorgesehen. Für Schwarze, sagt Ross, ist nicht die Stadt Kapstadt zuständig, sondern die Westkap-Provinz. Die verweist auf die Zentralregierung. Und die Zentralregierung zeigt auf ihre leeren Taschen: Für Verteidigung gibt sie noch immer achtmal soviel aus wie für Wohnungsbau.
Nachdem David LeRoux zwei Tage später klargestellt hatte, daß sich die Zeiten nicht geändert hatten und daß die umstrittenen 72 Millionen Rand nicht zum Hausbau ausgegeben werden dürfen, sondern nur zur Bereitstellung von serviced sites, zogen die Rathausbesetzer wieder ab, aber nicht, ohne vorher Neil Ross' Schubladen und Aktenschränke gründlich zu durchforsten und die Flurgemälde verstorbener Kapstädter Bürgermeister mit Messerstichen zu verzieren.
Aber die Zeiten ändern sich doch: Am 16. November gab Südafrikas Bauminister Louis Shill bekannt, die serviced sites-Politik werde eingestellt. Nunmehr werde es nicht mehr nach Rassen getrennte Listen für Sozialwohnungen geben. Außerdem seien im laufenden Haushalt tatsächlich noch 500 Millionen Mark für den Wohnungsbau vorhanden; die sollten vor allem zur Linderung der Hausbesetzerprobleme in Kapstadt und Durban verwendet werden. Eine Vereinbarung, wonach Banken Gelder in einen Fonds einzahlen, um „politisches Risiko“ für Bausparer in unruhigen Townships abzusichern, könnte weitere Milliarden lockermachen. „Unsere Schätzung ist“, sagte Shill, „daß etwa 70 Prozent der Bedürftigen mit dieser Unterstützung Wohnungen finden können.“
Erstes Ergebnis dieser Kehrtwende: Die Hausbesetzer von Tafelsig fühlten sich übers Ohr gehauen und blieben in den besetzten Häusern wohnen, während die Wartelistenanwärter, für die man die Häuser gebaut hatte, nun ihrerseits immer heftiger protestierten. Ein Ultimatum nach dem anderen verstrich, ohne daß die Stadtverwaltung sich zu einer mit dem „neuen Südafrika“ ganz und gar unvereinbaren polizeilichen Räumung entschließen konnte.
Um ihrer Hausbesetzung Dauer zu verleihen, versprachen die Besetzer, zu gehen, sobald die städtischen Tiefbauarbeiten auf den serviced sites fertig wären, und besetzten gleichzeitig das dafür vorgesehene Gelände, um eben diese Tiefbauarbeiten zu verhindern. Um die Stadtverwaltung zum Gespräch zu bewegen, drohten sie noch, die besetzten Häuser zu demolieren, was am 14. Dezember schließlich zu einem Verhandlungsdurchbruch führte: Die Hausbesetzer gaben das für ihre serviced sites vorgesehene Gelände wieder frei und dürfen nun in den Tafelsig-Häusern bleiben, bis die serviced sites fertig sind. Die angedrohte Zwangsräumung kurz vor Weihnachten ist damit vom Tisch.
So endet erst einmal ein kurioser Zustand, der gewissermaßen das „neue Südafrika“ symbolisiert: Stellten sich früher – wie 1984 in der berühmt gewordenen illegalen Kapstädter Schwarzensiedlung Crossroads – schwarze Frauen den Apartheid-Bulldozern in den Weg, um den Abriß ihrer Hütten zu verhindern, waren nun im Dezember 1993, während im südafrikanischen Parlament in Kapstadt feierlich das Ende der weißen Alleinherrschaft zelebriert wurde, ebensolche schwarze Frauen zu sehen, wie sie Bulldozer beim Einebnen von Bauplätzen für neue Häuser blockierten.
„Es geht darum“, sagt Laureen Platzky von der Kapstädter Entwicklungsorganisation Development Action Group, „die Stadt rassisch und funktional neu zu strukturieren. Das ist eine Arbeit, die vor allem eine Veränderung der Sichtweisen erfordert.“ Gegenwärtig sind Südafrikas große Städte ein verwirrendes Geflecht alter und neuer Verwaltungsstrukturen: Stadträte, Distrikträte, Versorgungskomitees, Bürgervereine, Regionalforen, Dienstleistungsprojekte mit überschneidenden Kompetenzen lassen eine Übersicht nicht zu. Das alte Südafrika, in dem ethnische Gruppen getrennt leben und getrennt verwaltet werden sollten, hat sich mit dem neuen Südafrika verknäuelt, in dem die Menschen in permanenter Bewegung sind, in dem unter neuen Verhältnissen neue Räume geschaffen, erobert und verloren werden. Lokalverwaltungen, die zur Verwaltung der Apartheid geschaffen wurden, müssen jetzt die Abschaffung der Apartheid organisieren.
Wie können Südafrikas Metropolen zusammenwachsen, wenn weiße, farbige und schwarze Wohngebiete noch immer getrennt verwaltet und finanziert werden? Das neue, bei den Demokratieverhandlungen vereinbarte Vorgehen zur Überwindung der kommunalen Rassentrennung (siehe Kasten) ordnet lokale Bedürfnisse den nationalen politischen Erwägungen unter. Es sei eine irrige Vorstellung, sagte zur Begründung des neuen Modells ANC-Kommunalsprecher Thozamile Botha, daß weiße Gebiete reich seien und für die Schwarzen zahlen könnten: „Wir wollen nicht den Lebensstandard in den weißen Gebieten verringern, sondern ihn in den schwarzen Gebieten erhöhen.“ Mit anderen Worten: Die neuen, gemischten Städte sollen auf kräftige Finanzspritzen von der Zentralregierung und aus der internationalen Hilfe hoffen.
Wenn die Übergangszeit darin besteht, auf Hilfe zu warten, wird Soweto lange warten müssen. „Die Wahlen werden alle Entscheidungsbefugnisse auf neue, gewählte Funktionsträger übertragen, die Millionen Rand Entwicklungshilfe verteilen müssen“, schreibt David Schmidt vom „Institut für eine Demokratische Alternative in Südafrika“ (Idasa) und zeigt ein Dilemma auf: „Wenn sich im Verlauf der Übergangszeit Korruption und Patronage einbürgern, wird sich das im Nach-Apartheid- Südafrika kaum ändern lassen.“
Daß Südafrika jetzt von einem schwarz-weißen Übergangsrat regiert wird, sieht der Spaziergänger in Soweto nicht. Wie auch? Die Arbeitslosigkeit ist unverändert hoch, so daß die Jugendlichen weiter in den Straßen herumhängen; der öffentliche Nahverkehr ist unverändert miserabel, so daß die Hausfrauen weiter kilometerweit von den Bushaltestellen nach Hause laufen müssen. Um die Tankstellen herum entwickelt sich zaghaft urbanes Leben – aber nur für wenige: teure Take-Aways, wo man eher Mitarbeiter internationaler Hilfsorganisationen und Lokalpolitiker antrifft als einfache Bewohner Sowetos; blitzblanke, gut sortierte Bäckereien ohne Kunden. Sogar die Müllhalden sind belebter.
Wie kann Soweto je zu einer normalen Stadt werden? Wer Geld hat, geht gleich nach Johannesburg – oder sucht in Soweto eine politische Basis. Dann kauft er sich ein teures Haus – in Dobsonville kann man für ein kleines renoviertes Einfamilienhaus mit Komfort 60.000 Rand (30.000 Mark) hinlegen. Soviel verdienen viele Schwarze in ihrem ganzen Leben nicht.
Isaac Mogase, der Präsident der Bürgervereinigung von Soweto, empfängt in einem Nebenraum der schmucken römisch-katholischen Kirche, die ihren Reichtum nicht versteckt. Mit staatsmännischer Bonhomie macht er ganz den Eindruck des bürgernahen Politikers von Welt. „Ich möchte so gerne ins Parlament kommen“, seufzt das ANC-Mitglied und hofft auf einen guten Listenplatz bei den kommenden Wahlen. Seine Civic Association führt er jedoch als Unabhängiger – die Konflikte zwischen den Bürgervereinigungen und der Befreiungsbewegung in den achtziger Jahren, die dazu führten, daß die früher in der „Vereinigten Demokratischen Front“ (UDF) zusammengeschlossenen Civics auch heute noch mit der „Südafrikanischen Nationalen Bürgerorganisation“ (Sanco) unabhängige Politik machen, haben ihre Wunden gelassen. An den Demokratieverhandlungen war Sanco nicht beteiligt.
Die Civics werden in der Übergangszeit eine Schlüsselrolle spielen. Ihre Mitarbeiter werden gleichzeitig in allen möglichen Volksvertretungen sitzen und Basisaktivitäten koordinieren – ein Spagat, bei dem das von David Schmidt beschriebene Dilemma brisant werden könnte. Vorerst übt Mogase Zurückhaltung. „Wir machen keine Parteipolitik“, betont er. „Unsere Hauptforderung ist die Vereinheitlichung der Besteuerung. Jetzt wird von Regionen und anderen neuen Dingen geredet – wir warten ab.“ Seine täglichen Aufgaben sind klein und unübersichtlich. Aber er hat ein großes Projekt: die Wiedervereinigung von Johannesburg und Soweto.
Nachdem Soweto 1973 aus Johannesburg ausgegliedert wurde, bekam es eine eigene schwarze Verwaltung, die in Ermangelung der früheren Finanztransfers die Gebühren für kommunale Dienste kräftig erhöhen mußte und von der Bevölkerung als Versammlung von Kollaborateuren bekriegt wurde. Am 1. Juni 1986 startete die damals noch illegale Bürgervereinigung, auch da schon von Mogase geführt, einen Miet- und Gebührenboykott, der erst jetzt zu Ende gehen soll. Schon einmal im Jahr 1990 war die Wiederaufnahme der Zahlungen vereinbart worden; als jedoch eine vereinbarte Abgabenerhöhung von monatlich 23 auf 55 Rand pro Haushalt Anfang 1992 zu keiner Verbesserung der miserablen Dienstleistungen führte, beschloß die Bürgervereinigung kurzerhand, den Boykott wiederaufzunehmen. „Das Township war noch genauso dreckig wie vorher“, erinnert sich Mogase. „Dazu kam die Gewalt.“
Es folgte eine Zeit des Wartens und schließlich – weil ja inzwischen alle Südafrikaner miteinander reden – neue Verhandlungen. Ihr Abschluß Mitte November war für Mogase ein Erfolg: Die Häuser in Soweto werden ab sofort als Eigentum ihrer Bewohner angesehen, so daß niemand mehr Miete zahlen muß. Dafür zahlen die zu Eigenheimbesitzern mutierten Bürger wieder Kommunalabgaben – monatlich 45 Rand. Ein „Manager“ soll ernannt werden, worauf die der regierenden Nationalpartei angehörenden Stadträte zurücktreten sollen. Das ganze Abkommen tritt im kommenden Februar formell in Kraft. Vorher noch soll die Johannesburger Stadtreinigung die Straßen von Soweto säubern, um die Townshipbewohner zu motivieren – ein Akt mit hohem Symbolwert: Weiße Stadt zahlt für schwarze Müllabfuhr. Der erste Schritt zur Einheit.
Wenn diese Vereinbarung in die Tat umgesetzt wird – was wird dann aus Soweto? Eine saubere Stadt von Hauseigentümern, ohne Müllhaufen und dreckige Straßen? Eine ANC-treue Ansammlung von Johannesburger Vororten, die nach und nach ein bürgerliches Gesicht annimmt? Eine Millionenstadt gar, die diesen Namen auch verdient? Wenn Soweto lachen kann – wird Südafrika gesund? „Wir kümmern uns um Themen des täglichen Lebens, die Butter auf dem Brot“, winkt Mogase ab und ist zugleich ein wenig geschmeichelt: „Die große Vision – vielleicht kommt sie nächstes Jahr. Jetzt träume ich von einem glücklichen Südafrika.“
Fortsetzung auf Seite 15
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