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„Der Hungerstreik war selbst organisiert“

■ Unterstützer üben Kritik an der Informationspolitik der Sozialbehörde

Katja Gundelach, Sie sind Ärztin im Praktikum und haben sich während des Hungerstreiks auf der „Floatel Altona“ um ärztliche Versorgung bemüht. War die ausreichend gewährleistet?

Katja Gundelach: Nein. Nach unseren Erfahrungen müssen Hungerstreikende jeden Tag von einem Arzt untersucht werden. Ich war zusammen mit dem Krankenhausarzt Selcuk Eralp am fünften Tag des Hungerstreiks an Bord. Vorher hatte es für die Gruppe keine ärztliche Untersuchung gegeben. Es hatten alle leichte oder stärkere Symptome von Hungerstreik. Obwohl wir zunächst die Zusage vom Unterkunftsleiter hatten, durften wir aber auf Weisung der BAGS später nicht mehr aufs Schiff. Wie uns die Flüchtlinge berichtet haben, war anschließend während des elftätigen Hungerstreiks nur noch einmal ein Arzt an Bord, der zudem merkwürdige Ratschläge gegeben hat. Daß sie Zucker lutschen könnten, zum Beispiel. Der erzeugt aber Hungergefühle und kann Magenkrämpfe verursachen.

Was kann passieren, wenn Hungerstreikende nicht regelmäßig untersucht werden?

Gundelach: Das geht von totalen Kreislaufzusammenbrüchen bis hin zu Nierenversagen – vor allem wenn nicht genügend Flüssigkeit getrunken wird. Viele der Flüchtlinge hatten zudem Magenprobleme. Da kann ein Hungerstreik zu schwersten Magenerkrankungen führen, bis hin zum Magendurchbruch.

Ein Flüchtling ist ins Krankenhaus gekommen. Hing das mit dem Hungerstreik zusammen?

Gundelach: Ja. Ich hab ihn selbst ins Krankenhaus gebracht. Als ich ihn dort am nächsten Tag wieder abholen mußte, weil das Sozialamt nicht für seine Behandlung zahlen wollte, sagte mir der behandelnde Arzt, daß der Mann den Hungertreik umbedingt abbrechen sollte. Er habe eine chronische Gastritis, deshalb könnte es gesundheitlich sehr schwere Folgen für ihn haben.

Im Zusammenhang mit dem Patienten wollen Sie Strafanzeige stellen.

Gundelach: Es war vier Stunden vor uns ein Notarzt an Bord. Das Wachpersonal hat mir und Dr. Eralp zunächst den Zugang mit der Begründung verwehrt, der Notarzt sei dagewesen und habe gesagt, der Patient sei ein Simulant, sie sollten keinen weiteren Arzt für ihn rufen. Dieser Sache muß nachgegangen werden. Wenn dies stimmt, hat der Notarzt fahrlässig gehandelt und die ärztliche Schweigepflicht verletzt.

Nun behauptet die BAGS, ihr wäret keine zugelassenen Ärzte.

Gundelach: Das ist Bestandteil der sehr merkwürdigen Informationspolitik der BAGS. Wir haben unsere Arzt-Ausweise beim Pförtner vorgezeigt. Dort sind sie kopiert worden. Da steht deutlich drin, daß wir zugelassen sind. Diese Ausweise sind auch nicht abgelaufen, wie die BAGS behauptet. Es gibt kein Gültigkeitsdatum für diese Ausweise. Die sind solange gültig, bis sie einzogen werden.

Jürgen Petsch, das „Antirassitische Telefon“, bei dem du mitarbeitest, wurde von der BAGS ebenfalls heftig kritisiert. Es hieß, ihr hättet die Flüchtlinge für eure eignen Zwecke mißbraucht.

Jürgen Petsch: Vorab: Eine Pressesprecherin der BAGS, die im Verlauf von zehn Tagen täglich Unwahrheiten verbreitet, ist nach unserer Einschätzung in dieser Position nicht mehr tragbar.

Was für Unwahrheiten?

Petsch: Es wurde von den Behörden zunächst gesagt, es gibt keinen Hungerstreik. Das wurde dann garniert mit Aussagen wie „die Flüchtlinge essen auf anderen Kantinen“, „die Flüchtlinge haben Obst gekriegt“. Es ist aber so – was ärztlicherseits zum Teil nachgewiesen wurde, daß die Flüchtlinge sehr wohl die Essenaufnahme verweigert haben. Es fällt einfach auf, daß Behörde mit ihrer Kontaktsperre schlicht verhindert hat, daß sich Journalisten an Bord überzeugen A, ob es einen Hungerstreik gibt und B, warum und mit welchen Zielen dieser Protest betrieben wird. In dieser Situation war das „Antirassistische Telefon“ in der Rolle, die Informationen, die uns von den Flüchtlingen mitgeteilt wurden, weiterzugeben und damit etwas Öffentlichkeit herzustellen. Dazu muß man sagen, daß die Behörde ganz gezielt versucht hat, in der Öffentlichkeit die Aktion der Flüchtlinge, als eine fremdgesteuerte darzustellen. Dem war aber nicht so. Es gab einen Vorlauf von Wochen, in dem sich Flüchtlinge selbst organisiert haben.

Die Forderungen der Hungerstreikenden nach Abschaffung der Asylgesetze ist unrealistisch.

Petsch: Was heißt „realistisch“? Es war die Entscheidung der Flüchtlinge, auf diese Weise auf die Unmenschlichkeit der Asylgesetze aufmerksam zu machen. Es entspricht unserem Selbstverständnis als „Antirassistisches Telefon“, diese Entscheidung ernst zu nehmen und politisch zu unterstützen.

Fragen: Kaija Kutter

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