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Unterm Strich

Die letzten Tage des Jahres sind am schlimmsten: Kaum sind die Reste der alljährlichen Putenbrust verdaut, das Festtagsgeschirr gespült und der provisorische Schlafplatz auf der Wohnzimmercouch bei Muttern geräumt – und schon sieht der Montag am frühen Morgen wieder aus, als würde man ihn überhaupt nicht mögen. Gestern unterm Weihnachtsbaum im Schoß der Familie sich geborgen wähnend, starren dir heute bereits wieder in der U-Bahn die unzähligen anderen befremdlich ins Gesicht, durch die du dein nicht minder unausgeschlafenes Selbst erkennen sollst.

Die Leere danach ist allenthalben spürbar. Ein dicklicher Student mit Rucksack und einer Karstadt-Plastiktüte voll unausgepackter Geschenke wirkt plötzlich seltsam heimatlos, während noch am Freitag die ganze Bagage mit solcherlei geheimnisvollen Bündeln wie eine verschworene Gemeinschaft erschien.

Rotnasige Männer, die dir gestern morgen noch in Feiertagsstimmung freundlich auf dem Gehsteig zuprosteten, nippen jetzt schon wieder so verstohlen an ihrer Büchse Bier, als wollten sie den längst zur Gewohnheit gewordenen Alkoholgenuß für sich behalten. Wie jedes Jahr müssen sie in dieser elendig halböffentlichen Heimlichkeit die nächsten drei Tage abwarten, bis an Silvester sich das Trinken erneut zum souveränen Akt von Gleichen unter Gleichen emporschwingt. Das alles ist eigentlich ziemlich deprimierend, und man kommt auf komische Gedanken. Nur so lassen sich wahrscheinlich all die endzeitmäßigen Jahresrückblicke, die hastig formulierten Weltverbesserungspläne und die dummen, guten Vorsätze erklären, die man flugs noch für das kommende Jahr ins Auge faßt: Nichts soll verlorengehen, aber irgend etwas muß schließlich anders werden. Wie immer.

Dabei ist auch dieses Jahr eine ganze Menge passiert rund um die Weihnachtstage: In Los Angeles ist der Regisseur der Kriminalkomödie „Ladykillers“, Alexander Mackendrick, bereits am vergangenen Mittwoch im Alter von 81 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben. Mackendrick hatte während des Zweiten Weltkrieges in Italien eine Reihe von Dokumentarfilmen gedreht. Später war der Brite in die USA gegangen, wo er 1969 eine Filmakademie in Los Angeles gründete, an der er bis kurz vor seinem Tod Unterricht gab.

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